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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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gesucht?«
    »Blanchet sucht nach mir, bringen Sie das nicht durcheinander. Er ist entschlossen, mir das Rathaus wegzunehmen. Inzwischen habe ich hier einen guten Stand, aber so wie ich den Mann empfinde, wird er vor schmutzigen Mitteln nicht zurückschrecken. Ich wollte wissen, was er gegen mich vorbereitet.«
    »Haben Sie aus den Mülltonnen etwas erfahren?«
    »Daß er zweimal in der Woche Huhn ißt und nicht gerade selten Ravioli aus der Dose. Daß man nicht so recht weiß, wo er herkommt. Keine Familie, keine Partei, keine bekannten politischen Verbindungen, nichts. Eine windige, nicht greifbare Vergangenheit.«
    Chevalier verzog das Gesicht.
    »Seine Papiere verbrennt er. Als ich das bemerkte, kam mir die Idee, Marie mit dieser Suche zu beauftragen – in der Hoffnung, daß Teile davon dem Verbrennen entgehen. Denn ein Typ, der seine Papiere verbrennt, na? Ein Typ, der unter keinen Umständen eine Putzfrau will, na? Aber Blanchet ist peinlich genau, er säubert seine Hühnchen bis auf die Knochen, er kratzt seine Raviolidosen bis auf den letzten Rest aus, er raucht seine Zigarren, bis er sich die Finger verbrennt, und bei seinen Papieren überlebt kein einziges. Seine Mülltonnen sind eine Art Quintessenz von Mülltonnen, es sind Abfälle ohne Leib und Seele, und Asche, nichts als Asche. Wenn Sie so was normal finden … Also ich nicht.«
    »Wo kommt er her? Weiß man das wenigstens?«
    »Aus der Region Nord-Pas-de-Calais.«
    »Sind Sie sicher?«
    »So sagt er.«
    Louis runzelte die Stirn.
    »Und Marie?« fragte er schließlich.
    »Ich weiß schon«, sagte der Bürgermeister. »Wenn er gesehen hat, wie sie seine Mülltonnen durchwühlte … Wenn er sie umgebracht hat … Ich wäre schuld daran. Ich weiß, ich habe nicht auf Sie gewartet, um daran zu denken. Aber ich kann mir keinen Mörder in Port-Nicolas vorstellen, nicht einmal ihn.«
    »Sie wurde umgebracht, Chevalier, verdammt, kommen Sie ein bißchen in die Gänge und rühren Sie sich! Hat Marie denn etwas über Sie herausgefunden? Von welcher Seite wollte Blanchet Sie angreifen, können Sie sich das wenigstens vorstellen?«
    »Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich sie nicht suchen lassen, Kehlweiler.«
    »Und von welcher Seite, vermuten Sie?«
    »Wie soll ich das wissen? Er kann doch alles mögliche erfinden! Zehn fingierte Rechnungen, fünfzehn Unterschlagungen, achtzehn Geliebte, fünf Doppelleben, vierzig Kinder … An Auswahl fehlt’s da doch nicht … Übrigens, Kehlweiler, wann fahren Sie? Nachdem Sie Guerrec gesehen haben?«
    »Aller Logik nach ja.«
    Unmöglich zu sagen, ob Chevalier erleichtert war oder nicht.
    »Und in Wirklichkeit nein«, fügte Louis hinzu.
    »Haben Sie kein Vertrauen? Guerrec ist nicht schlecht. Was hält Sie zurück?«
    »Drei Sachen. Außerdem will ich ein Bier.«
    Chevalier zuckte mit den Achseln. Er begleitete Louis an die Bar. Der Raum war nicht leerer geworden, es war ein besonderer Tag, man wartete auf die Polizei. Die Platzverteilung hatte sich mit dem Kommen, dem Gehen und den Gesprächen verändert. Marc war zurückgekehrt und hatte sich zwischen Lina und Pauline gesetzt. Er zögerte. Wäre er Pauline gewesen, hätte er eher Sevran geheiratet als Darnas aber jeder, wie er will –, auch wenn Sevran einen etwas zu tief sitzenden Po und schmale Schultern hatte, eine Mädchenfigur irgendwie, eine seltene Anlage, die es Marcs Ansicht nach wert war, im Gedächtnis behalten zu werden. Aber seien wir großzügig, man sah es kaum, und Sevran ließ etwas Aufregung erkennen, was ihm in Marcs Augen aus Solidarität einen Bonus verlieh. Der Ingenieur lief zwischen der Theke und den Tischen hin und her, brachte Getränke, räumte Gläser ab, machte die Arbeit von Antoinette, unterbrach alle naslang seinen geschichtlichen Überblick über die Firma Remington, wobei sein kleines, helles, gealtertes Gesicht zwischen einem hübschen offenen Lächeln und flüchtigem Stirnrunzeln wechselte, wenn er einen besorgten Blick auf Lina warf. Paradoxerweise wirkte Darnas, der aussah wie eine Meeresschildkröte aus aufgelöstem Zucker, der stellenweise am Topfboden angesetzt hat, sehr viel männlicher als der Ingenieur. Er lächelte friedlich, während er Sevran zuhörte, hatte seine dicken Pfoten auf die Oberschenkel gelegt, schüttelte sie von Zeit zu Zeit, um sie abtropfen zu lassen – vom aufgelösten Zucker, dachte Marc –, und das Hin und Her des Cafés und derer, die sich hineinflüchteten, drang in sein winziges Blickfeld, ohne

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