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Das Paradies am Fluss

Das Paradies am Fluss

Titel: Das Paradies am Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Willett
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sich von einer eigentümlichen Freude erfüllt. Sie öffnet die Tür nicht, sondern steht nur da, trinkt den Tee wie schon einmal und sieht zu, wie der Nebel über das Wasser treibt.
    Die Sonne geht auf und übergießt die Hügel auf der anderen Seite mit einem strahlenden, rosig-goldenen Licht, das nach und nach über die kleinen, schräg angelegten Felder und an den schwarzen Hecken entlang abwärtsgleitet und die nächtlichen Schatten vertreibt, bis es die ungleichen, schiefergedeckten Dächer von Cargreen berührt. Ein kleines Ruderboot löst sich von den dunklen Mauern und gleitet über das Wasser. Als es näher kommt, kann Jess den Mann an den Rudern erkennen. Er legt sich kraftvoll in die Riemen und blickt ab und zu über die Schulter, um nicht mit den wenigen Booten, die noch in der Fahrrinne vor Anker liegen, zusammenzustoßen. Dieses Mal hält er nicht an. Das kleine Boot kommt, umgeben von den Wellen, die von den rhythmisch ins Wasser tauchenden Rudern ausgehen, näher, bis es fast direkt unter ihr aus ihrem Blickfeld verschwindet.
    Jess holt tief Luft, wendet sich wieder in den Raum hinein und wartet. Ein Schatten huscht am Fenster vorbei, und dann klopft es leise an der Tür: Endlich ist er da. Er tritt auf sie zu und schaut sie aufmerksam an, und sie erwidert seinen eindringlichen Blick. Die Teetasse hält sie immer noch mit beiden Händen umklammert.
    Er lächelt, als hätte er eine wunderbare Entdeckung gemacht, fasst sie am Ellbogen und führt sie zu dem großen Fenster zurück. Immer noch sieht er sie an, und auch sie schaut ihn an und versucht, in dem Gesicht dieses großen, breitschultrigen und viel älteren Mannes die Züge ihres Vaters zu erkennen.
    »Wann bist du darauf gekommen?«, fragt er. Er ist so aufgeregt, so froh, dass sich ihre letzten Ängste in nichts auflösen, und sie lacht.
    »Ich glaube, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe«, erklärt sie. »Du kamst aus dem Nebel gerudert und bist an Bord deiner Jacht gegangen. Da hast du mir zugewinkt.«
    »Aber wir haben uns schon vorher gesehen«, erinnert er sie. »Am allerersten Tag, als du am Fluss entlanggegangen bist.«
    »Ja!«, ruft sie aus. »Jetzt weiß ich es wieder! Du warst auf deinem Boot, und ich habe dir zugewinkt.«
    »Du hast so sehr wie Juliet ausgesehen, dass ich am liebsten in das Beiboot gesprungen und zu dir an Land gerudert wäre.«
    »Warum hast du es nicht getan?«, fragt sie, und ihr Lächeln verfliegt. »Ich wünschte, du wärst gekommen.«
    Er sieht sie mit einem traurigen Blick an. »Juliet hatte mir jeden Kontakt verboten. Sie sagte, niemand dürfe je davon erfahren. Sogar, als ich hörte, dass dein Vater nach England zurückgekehrt war, hat sie mich nicht aus meinem Versprechen entlassen. Oh, mein Gott, ich muss dir so viel erklären, Jess! Jess.« Er sagt ihren Namen noch einmal. »Ich hätte nie geglaubt, dass ich dich einmal kennenlernen würde.«
    »Aber wie soll ich dich nennen?«, will sie wissen. »Das ist ganz komisch, oder? Nachdem ich dich so lange nicht gekannt habe, kann ich dich doch nicht plötzlich mit ›Grandpa‹ oder ›Granddad‹ ansprechen.«
    »Klingt ziemlich merkwürdig, oder?«, meint er zustimmend. »Kannst du mich nicht einfach Freddy nennen?«
    Sie sitzen zusammen am Tisch und betrachten die Fotos, während Jess die Geschichte, die sie Johnnie erzählt hat, wiederholt.
    »Nach und nach habe ich sie alle ausgeschlossen«, erklärt sie. »Al, Mike, Stephen.« Sie zeigt auf einen nach dem anderen.
    »Johnnie, Tom, Freddy. Du und Stephen wart die Letzten, die ich identifizieren konnte. Kate hat es mir gesagt. Aber tief in meinem Inneren hatte ich schon vorher das starke Gefühl, du, Freddy, müsstest derjenige sein, der Daddy so ähnlich sah. Ich habe dich draußen auf dem Fluss gesehen, in deinem Ruderboot. Irgendwie warst du immer im Schatten, bist aus dem Nebel aufgetaucht oder warst als Silhouette vor der Sonne zu sehen, und ich konnte dich nie richtig erkennen. Du bist gekommen und gegangen, wenn ich nicht da war. Ich war überzeugt davon, dass du es sein musstest, und doch erschien es so, als wärst du der unwahrscheinlichste Kandidat von allen.«
    »Ah, aber das war doch meine Stärke, verstehst du? Ich war immer der Kleinste, Unbedeutendste und Letzte. Der junge Fred, der kleine Freddy. Niemand hat mich ernst genommen. Meine Mutter war eine entfernte Cousine von Dickie Trehearne. Mein Vater ist gegen Kriegsende gefallen, und Dickie hat uns das Cottage in Cargreen überlassen

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