Das Paradies am Fluss
vorgestellt hat. Stolz war er gewesen, verliebt bis über beide Ohren, und er hatte kaum den Blick vom Gesicht der reizenden jungen Dame wenden können, die der Frau eines wichtigen vorgesetzten Offiziers so bescheiden zulächelte, wie es sich gehörte. Juliet hatte genauso bezaubernd gestrahlt wie Jess am vergangenen Sonntag, sodass sie die Hände des Mädchens viel zu fest fasste und zu verbergen versuchte, wie erschüttert sie war.
Während sie ihren Tee austrinkt, sieht Rowena wieder vor sich, wie Al vor über vierzig Jahren neben der Gruppe stand und die Vorstellung beobachtete. Ausnahmsweise hatte er sich nicht in der Gewalt, und seine Miene schockierte sie; er wirkte zornig und frustriert. Genauso hatte er als Kind dreingeblickt, wenn er nicht bekommen hatte, was er wollte, und sie empfand einen leisen Anflug von Furcht. Ja mehr noch, sie war empört darüber, dass Mike sich etwas genommen hatte, das Al offensichtlich für sich haben wollte. Im Allgemeinen spielte sich das umgekehrt ab: Al war immer der Erste, der Beste. Aber jetzt sah es aus, als hätte Mike gewonnen, und Al war außer sich. Im nächsten Moment fragte sie sich, ob sie sich das nur eingebildet hatte. Al lachte, neckte Juliet und spottete über Mike, doch Rowena war jetzt wachsam. Sie sah, wie Als Blick auf dem Mädchen verweilte und die alte Leichtigkeit zwischen Mike und ihm verschwunden war. Es sah aus, als hätte Mike dieses Mal gesiegt – bis zu dem Abend der Mittsommerparty im Seegarten.
Rowena stellt die zarte Tasse auf der Untertasse ab und steht auf. Der kleine, langhaarige Terrier, der sich zwischen die zurückgeschlagenen Bettdecken gewühlt hat, hebt den Kopf, und Rowena bückt sich, um ihn mit steifen, arthritischen Händen zu streicheln. »Braves Mädchen, Popps«, murmelt sie. »Braves Mädchen.« Sie muss weiterkommen, sich in Bewegung setzen. Waschen und Anziehen sind beschwerliche Unternehmungen, und bald kommt Jess. Dann muss sie bereit sein und so wachsam wie damals vor über vierzig Jahren.
Unten in der Küche trinkt Johnnie mit Sophie seinen Kaffee.
»Merkwürdig, dass Mutter einen solchen Narren an Jess gefressen hat!«, meint er. »Ich dachte, dass sie sie gern kennenlernen würde, aber ich war sehr erstaunt, als sie sie für ein paar Tage eingeladen hat. Ich hoffe, das macht dir nicht zu viel zusätzliche Arbeit.«
Sophie zuckt mit den Schultern. »Viel weniger, als wenn die Mädchen mit den Kindern kommen. Jess wirkt wie jemand, der mit anpacken wird.«
»Ich mochte sie gleich«, gesteht er. »Du nicht auch? Ganz bezaubernd. Muss ihr komisch vorkommen, hier zu sein, wo alles angefangen hat. Ehrlich gesagt habe ich Mike Penhaligon nie besonders gut leiden können. Er musste immer alle beherrschen.« Er schnaubt amüsiert. »Genau wie mein großer Bruder.«
Sophie grinst ihn an. »Darauf war ich auch schon gekommen. Es fällt leicht, Menschen, die früh gestorben sind, auf ein Podest zu heben, stimmt’s? Besonders wenn sie bei einem schrecklichen Unfall umkommen. Dagegen können die Lebenden nicht bestehen.«
Johnnie sieht sie voller Zuneigung an. »Ich hatte schon lange vor Als Tod aufgegeben. Mutter war vernarrt in ihn; anders kann man es nicht ausdrücken. Aber egal. Das ist alles lange vorbei.«
»Hoffentlich.« Sie legt die Liste beiseite. »Ich fahre nach dem Frühstück schnell nach Bere Alston hinüber, doch die alte Segelwerkstatt ist fertig für Jess, falls sie früher kommt. Ich habe das Bett bezogen und das ganze Häuschen ordentlich gelüftet.«
»Ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen, weil du nach Mutters Anfall deine Unabhängigkeit aufgeben und von der Segelwerkstatt ins Haus ziehen musstest«, erklärt er.
»Red keinen Unsinn! Es ist doch viel vernünftiger, wenn ich in der Nähe bin, falls Rowena ihre üblen fünf Minuten hat – und auch weil Will während des Schuljahrs die meisten Wochenenden hier verbringt, nachdem Louisa nach Genf gezogen ist. Außerdem ist es schon eine Weile her, seit ich den Drang verspürt habe, knackige junge Männer aus dem Segelclub abzuschleppen. Geh dich anziehen, Johnnie! Rowena kommt gleich zum Frühstück herunter, und sie will sicher, dass du mit Popps rausgehst.«
Jess fährt vorsichtig über die Landstraßen und hält Ausschau nach Wegweisern. Sie fühlt sich aufgeregt, nervös und schuldbewusst, alles auf einmal.
»Ich habe keine Ahnung, was da über mich gekommen ist«, hat sie nach dem Mittagessen bei den Trehearnes betreten zu Kate gesagt.
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