Das Paradies am Fluss
wir es bald allen erzählen, und ich fühle, wie mich der Mut verlässt. Glaubst du, dass es funktionieren wird, Ol?«
»Damit ich darauf antworten kann, brauche ich noch sehr viel mehr Input. Doch es klingt, als hätte Guy gründlich darüber nachgedacht, und er ist kein Mensch, der Risiken eingeht, oder? Und der alte Johnnie auch nicht.«
»Guy hat mir strengstens verboten, dich um Geld zu bitten«, gesteht Gemma. »Er findet, es sei schon schlimm genug, dass du die Schulgebühren bezahlst. Er darf um Gottes willen nie erfahren, dass ich eine Andeutung in diese Richtung gemacht habe. Es ist nur so, dass ich mir lieber bei dir etwas leihe als bei der Bank – immer angenommen, die Bank gibt uns Kredit. Du würdest sicher netter zu uns sein, wenn etwas nicht ganz nach Plan läuft. Doch Guy hat fest darauf bestanden, dass ich dich nicht fragen soll. Also habe ich kein Sterbenswörtchen gesagt. Okay?«
»Aber die Broschüren darf ich trotzdem ansehen, oder?«
»Natürlich. Ich zeige sie auch Johnnie.«
»Wenn ich also entscheide, dass ich investieren möchte, wie soll ich Guy darauf ansprechen, ohne dich reinzureiten?«
Gemma schenkt ihm ein strahlendes Lächeln. »Dir fällt schon etwas ein«, meint sie zuversichtlich.
Dichter Nebel säumt den Fluss. Er dämpft das Plätschern des Wassers, kriecht in kleine, schlammige Kanäle und schluckt die Schreie der Seevögel, die sich vor der steigenden Flut zurückziehen. In den Dornenhecken hängen komplizierte Spinnweben durch. Sie sind mit Flüssigkeit gesättigt und beben in der kalten Brise, die sich flussaufwärts schlängelt. Sogar die Boote an ihren Anlegestellen sind unsichtbar.
Vorsichtig fährt Jess über die kurvige Straße, hält sich dicht am Seitenstreifen und bremst ab und zu, wenn eine scharfe Biegung sie überrascht. Der Nebel umwabert das Auto, sodass sie das Gefühl hat, allein in dieser winzigen Kapsel durch einen weißen, feuchten, leeren Raum zu reisen.
Als grelle, gelbe Frontscheinwerfer sie im Rückspiegel blenden, dreht sie das Steuer und tritt auf die Bremsen. Mit wild klopfendem Herzen lenkt sie den Wagen noch näher an die dichte Hecke und hört, wie harte Zweige über den Lack kratzen. Das größere Fahrzeug zieht vorbei und verschwindet mit einem kurzen, durchdringenden Hupen in der Nebelwand.
Einen Moment lang sitzt Jess ganz still. Immer noch klopft ihr Herz. Langsam und vorsichtig setzt sie den Wagen dann in Bewegung und tastet sich voran. Dabei hält sie das Steuer fest umklammert. Mit einem Anflug von Furcht wird ihr klar, dass sie womöglich an der Gabelung die nach links führende Straße nicht finden wird; vielleicht fährt sie einfach quer über die Fahrbahn und in die gegenüberliegende Hecke. Nervös späht sie durch die Windschutzscheibe und hält Ausschau nach dem Wegweiser an der schmalen Stelle, an der sich die Straße nach rechts und links gabelt.
Als ein großer, dunkler Schatten ein, zwei Meter vor ihrer Motorhaube vorbeihuscht, stößt Jess einen leisen Schrei aus und reißt das Steuer nach links, sodass das Auto auf die grasbewachsene Böschung holpert. Zitternd steigt sie aus, geht über das Gras und horcht auf das leiseste Geräusch. Die Hände streckt sie aus, als wäre sie blind. Mit einem Mal berührt ihre linke Hand raues, gesplittertes Holz, und als sie aufblickt, erkennt sie den Wegweiser. Sie befindet sich an der Gabelung, und die Straße verläuft direkt vor ihr.
Jess steigt wieder in den Wagen, fährt mit heruntergekurbeltem Fenster nahe an den Wegweiser heran und lauscht auf Verkehrsgeräusche, als sie auf die Straße abbiegt, die sie zur Hauptstraße nach Tavistock bringen wird. Sie stößt einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Langsam fährt sie weiter, immer noch dicht an der Hecke, doch sie fühlt sich jetzt besser. Als die Straße aus dem Flusstal auf höheres Gelände ansteigt, wird der Nebel dünner, und sie fühlt sich zuversichtlicher. Jetzt kann sie ihre Gedanken schweifen lassen und über die Ereignisse der letzten paar Tage seit Rowenas Tod nachdenken.
»Auf gar keinen Fall«, hat Johnnie gesagt, »dürfen Sie das Gefühl haben, es wäre Ihre Schuld gewesen. Das ist das Letzte, was irgendjemand will. Niemand von uns hätte sich vorstellen können, dass sie so aufgeregt auf Sie reagiert. Nachdem Kate uns erzählt hatte, sie hätten den Preis gewonnen und seien Juliets Enkelin, konnte sie es nicht erwarten, Sie kennenzulernen. Wenn Sie mich fragen, haben Sie sie sehr glücklich gemacht.
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