Das Paradies am Fluss
würde ihn aufmuntern müssen. Aber wenigstens würden sie gemeinsam an seinem Traum arbeiten.
»Sag den Jungs noch nichts!«, hat er sie gewarnt. »Nur für den Fall, dass es länger dauert, als wir denken. Ich muss Dad alles erklären, und es ist nur fair, wenn ich mit einem Monat Frist kündige. Ich kann ihn nicht von heute auf morgen im Stich lassen. Denk du inzwischen darüber nach, wo wir wohnen könnten! Wir müssen wohl etwas mieten. Sieh dich in Bere Alston um, das wäre ideal.«
Angesichts der Aussicht auf noch einen Monat ohne ihn seufzt Gemma ungeduldig. Sie schaut sich um. Am Nebentisch arbeitet ein gut aussehender Mann Mitte dreißig mit konzentrierter, vertiefter Miene an seinem Laptop; hinter ihm, in der Ecke, sitzen zwei Frauen mittleren Alters, wie es aussieht, bei einem geschäftlichen Treffen, denn sie haben ihre Handys griffbereit liegen und Notizen auf dem Tisch ausgebreitet. Eine erschöpft wirkende junge Frau mit einem Baby im Buggy versucht, ihr schreiendes Kleinkind davon zu überzeugen, lieber ruhig zu sitzen und seinen Milchshake zu trinken, statt herumzurennen und alle zu stören.
Gemma trinkt ihren Caffè latte aus und sucht ihre Sachen zusammen. Der Mann am Nebentisch schaut auf, und ihre Blicke kreuzen sich. Es ist dieser kurze Moment, dieses winzige Aufflackern, in dem sich beide eingestehen, dass der andere eine attraktive Erscheinung ist und dieser rasche, prüfende Blick zu mehr führen könnte, zu etwas, das unterhaltsam und aufregend wäre.
Normalerweise würde Gemma sich ein leises Lächeln gestatten und auf eine beiläufige Bemerkung warten, die an diesen Moment anknüpft, sodass sich ein oberflächlicher Flirt entwickeln könnte. Doch stattdessen denkt sie an Pa und an Charlotte, nimmt ihre Tasche und tritt rasch auf die Straße.
Kate sitzt im hinteren Teil der Kirche und spürt, wie die Geister sich neben ihr drängen. Sie weiß, dass Jess sehr befangen ist. Die beiden haben abgesprochen, unauffällig einzutreten, ganz hinten Platz zu nehmen und gleich nach dem Gottesdienst zu gehen.
»Wir müssen die Trehearnes doch nachher nicht ins Haus begleiten, oder?«, hat Jess, offensichtlich aufgeregt, gefragt, und Kate hat ihr versichert, dass sie sich selbst nur zu gern bedeckt hält.
Und so sitzen sie hier, ganz hinten, und sehen zu, wie Menschen mit angemessen ernstem Gesichtsausdruck hineinströmen. Zu ihnen gehören auch Cass und Tom, die ziemlich weit vorn Platz nehmen. Kate sieht ihre Rücken an, und vor ihrem inneren Auge spielen sich andere, ähnliche Szenen ab: Charlottes Begräbnis und das von David. Doch obwohl sie ihren Erinnerungen nachhängt, ist sie sich der Anspannung des Mädchens, das neben ihr sitzt, bewusst; und ihr fällt auf, wie Jess jeden, der an ihnen vorbeigeht, aufmerksam mustert.
Kate denkt über das Foto nach und fragt sich, warum es Jess so wichtig ist. Man könnte meinen, dass einen die Jugend des eigenen Großvaters interessiert; aber Jess hat ihren Großvater nie gekannt.
»Daddy und er haben furchtbar gestritten«, hat sie gesagt. »Sie sind einfach nicht miteinander ausgekommen, und deswegen ist Daddy nach England gegangen. Er wollte sowieso schon immer zur Armee, aber ich habe das Gefühl, dass es für Granny schwer war. Wir haben sie ein- oder zweimal besucht, als ich ein Baby war, doch ich kann mich kaum daran erinnern. Dann, nach Daddys Tod, sind Mum und ich nach Australien geflogen, um ein paar Verwandte von ihr zu besuchen, und bei dieser Gelegenheit haben wir Granny wiedergesehen. Sie war sehr lieb, aber auch ein wenig distanziert. Vielleicht konnte sie den Gedanken nicht ertragen, dass Daddy so früh gestorben war. Natürlich war Mike inzwischen auch verstorben, doch sie wollte über keinen der beiden reden.«
Kate findet es interessant, dass Jess Juliet manchmal »Granny« nennt, von ihrem Großvater aber immer als »Mike« spricht. Ihr fällt ihr Gespräch über das Foto wieder ein, und sie berührt Jess’ Arm.
»Stephen Mortlake«, murmelt sie, und Jess blickt rasch zu dem grauhaarigen Mann auf, der seiner Frau in eine Bank folgt, sich setzt und sich umschaut. Cass dreht sich um und schenkt ihm die Andeutung eines Lächelns.
Kurz sieht Kate vor dem Hintergrund der schwarzen Rücken der Gemeinde, die sich ihr zuwenden, die Geister von Cass und Stephen in ihrer Jugend – und dann ist mit einem kleinen Aufruhr und hektischer Geschäftigkeit Rowena bei ihnen und wird, gefolgt von der Familie, zum Altar getragen. Kate und neben
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