Das Paradies der Damen - 11
Geschichte nicht gefalle, so brauche sie ja nur einfach nein zu sagen, ohne sich darüber viel zu kränken. Aber sie werde sich die Sache gewiß überlegen, bevor sie durch eine unerklärliche Weigerung ihre Stellung aufs Spiel setze. Sei es denn gar so schrecklich? … Und die kleine Predigt schloß mit einem heiteren Geflüster, als man plötzlich vom Gang her Schritte vernahm.
Pauline war aufgestanden, um einen Blick durch die Tür zu werfen.
»Still, es ist Frau Aurélie«, flüsterte sie, »ich verschwinde … Trocknen Sie sich die Augen; niemand braucht etwas zu wissen.«
Als Denise allein war, erhob sie sich und drängte gewaltsam ihre Tränen zurück; mit zitternden Händen schloß sie aus Furcht, daß man sie hier müßig überraschen könnte, das Klavier, das ihre Freundin offengelassen hatte. Sie hörte Frau Aurélie an ihre Tür klopfen; da trat sie auf den Gang.
»Wie, Sie sind aufgestanden?« rief die Abteilungsleiterin; »das ist sehr unvernünftig von Ihnen, mein liebes Kind. Ich bin heraufgekommen, um mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen und Ihnen zu sagen, daß wir unten auch ohne Sie fertig werden.«
Denise versicherte, daß es ihr besser gehe und ein wenig Beschäftigung ihr nur gut tun werde.
»Ich muß mich ja nicht anstrengen; ich werde mich auf einen Stuhl setzen und bei den Schreibarbeiten mittun.«
Beide gingen hinab. Frau Aurélie war sehr höflich und bat sie, sich auf ihre Schulter zu stützen. Sie hatte offenbar ihre geröteten Augen bemerkt und beobachtete sie heimlich. Sie war ohne Zweifel über so manches auf dem laufenden.
Denises Sieg in der Abteilung war, so unerwartet ihr selber das kam, nahezu vollständig. Nachdem sie in ihrer Anfangszeit Monate hindurch vergebens gegen die Böswilligkeit ihrer Umgebung angekämpft hatte, war es ihr jetzt in wenigen Wochen gelungen, sie zu beherrschen, alles um sich her entgegenkommend und achtungsvoll zu sehen. Dabei war ihr die plötzliche Aufmerksamkeit Frau Aurélies sehr behilflich gewesen. Man erzählte sich leise, daß die Abteilungsleiterin die Helfershelferin Mourets sei, daß sie ihm insgeheim gewisse heikle Dienste erweise; sie hatte das Mädchen unvermittelt mit solcher Wärme in Schutz genommen, daß man es ihr sicherlich ganz besonders empfohlen hatte. Allein auch Denise hatte alles aufgeboten, um ihre Feindinnen zu entwaffnen. Die Aufgabe war um so schwieriger, als sie die allgemeine Entrüstung über ihre Ernennung zur Zweiten beschwichtigen mußte. Die Verkäuferinnen sprachen laut von Ungerechtigkeit und beschuldigten sie, sie habe dem Chef diesen Posten beim Nachtisch abgeschwatzt, und fügten ganz abscheuliche Einzelheiten hinzu. Doch trotz ihrer Empörung imponierte ihnen der neue Rang des Mädchens.
Denise gewann eine Autorität, welche die feindseligsten unter ihnen in Erstaunen setzte und beugte. Ihre Bescheidenheit und ihre Sanftmut vervollständigten den Erfolg. Claire allein blieb bei ihrer ablehnenden Haltung. Während der kurzen Laune Mourets hatte sie die Lage dazu mißbraucht, ihre Arbeit zu vernachlässigen; als er ihrer überdrüssig ward, beklagte sie sich nicht, denn bei ihrem zügellosen Dasein kannte sie keine Eifersucht; sie begnügte sich damit, aus der Geschichte den Vorteil zu ziehen, daß man sie im Hause duldete, obgleich sie nichts tat. Allein sie dachte doch, Denise habe sie um die Nachfolge von Frau Frédéric gebracht. Sie hätte diese Stelle ja niemals angenommen, versicherte sie; es sei viel zu viel Mühsal damit verbunden. Aber was sie ärgerte, war, daß man sie überging; sie hatte die gleichen Ansprüche, ja sogar ältere als die andere!
»Schau, die Wöchnerin wird ausgeführt«, spöttelte sie, als Denise am Arm von Frau Aurélie eintrat.
Marguerite zuckte die Achseln und sagte:
»Kein besonders guter Witz, den Sie da gemacht haben.«
Zuvorkommend wandte sie sich dann an Denise.
»Warum sind Sie denn heruntergekommen? Wir sind doch Leute genug.«
»Das habe ich ihr auch gesagt«, erklärte Frau Aurélie. »Aber sie wollte durchaus helfen.«
Alle eilten herbei, um sich Denise gefällig zu zeigen; die Arbeit wurde dadurch unterbrochen. Man beglückwünschte sie und wollte alles über ihre Krankheit wissen. Endlich ließ Frau Aurélie sie auf einem Stuhl vor einem Tisch Platz nehmen; es wurde ausgemacht, daß sie nur die ausgerufenen Artikel aufschreiben solle. Bei solchen Inventuren wurden alle Angestellten, die schreiben konnten, herangezogen: Inspektoren, Kassierer,
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