Das Paradies der Damen - 11
Geschäftsräume angetreten hatten, eine ganze Wolke roter Ballons, die von einem Ende von Paris zum andern schwebten und den Namen des »Paradieses der Damen« gen Himmel trugen.
Es schlug fünf Uhr; die Damen waren alle gegangen, nur Frau Marty mit ihrer Tochter konnte sich nicht losreißen. Wieder ging sie durch das Erdgeschoß, die Weißwaren-, die Seiden-, die Handschuh-, die Leinenabteilung, dann stieg sie hinauf, kehrte zur Konfektion zurück, zur Wäsche, zu den Spitzen, ja selbst in den zweiten Stock zog es sie noch einmal, zur Bettenausstellung und in die Möbelabteilung. Und überall machten die Angestellten – Hutin und Favier, Mignot und Liénard, Deloche, Pauline, Denise –, obgleich todmüde, eine letzte Anstrengung, um den Käufern das Geld aus den Taschen zu locken. Als Frau Marty endlich ging, nachdem sie, entsetzt über die Höhe ihrer Rechnung, erklärt hatte, sie werde zu Hause zahlen, waren ihre Züge entstellt, sie hatte die fiebrigen Augen einer Kranken. – Als am Abend Denise vom Essen zurückkam, rief ein Laufbursche sie an.
»Fräulein, die Geschäftsleitung wünscht Sie zu sprechen.«
Sie hatte ganz vergessen, daß Mouret sie am Morgen aufgefordert hatte, abends nach dem Verkauf in seinem Arbeitszimmer zu erscheinen. Er erwartete sie stehend; als sie eintrat, ließ sie die Tür offen.
»Wir sind zufrieden mit Ihnen, Fräulein«, begann er, »und wollten Ihnen einen Beweis unserer Anerkennung geben … Sie wissen, in welcher unwürdigen Weise uns Frau Frédéric verlassen hat; von morgen an werden Sie ihre Stelle einnehmen.«
Unbeweglich und in höchster Überraschung hörte Denise ihn an, dann flüsterte sie mit zitternder Stimme:
»Aber es sind Kolleginnen da, die schon viel länger in der Abteilung sind als ich!«
»Das tut nichts«, sagte er. »Sie sind die Geschickteste, die Gewissenhafteste, und darum wähle ich Sie, das ist ganz natürlich; sind Sie zufrieden?«
Jetzt errötete sie. In dem Glück und der Verwirrung, die sich ihrer bemächtigten, verschwand der ursprüngliche Schreck. Warum hatte sie nur zuerst an gewisse Vermutungen gedacht, mit denen man diesen unerwarteten Gunstbeweis aufnehmen würde? Trotz ihrer Dankbarkeit fühlte sie sich etwas betreten. Er betrachtete sie noch immer lächelnd, wie sie vor ihm stand in ihrem einfachen Seidenkleid, ohne jeden anderen Schmuck als den ihres prachtvollen blonden Haares. Sie hatte sich verändert, wirkte zart und ernst, ihre ehemalige Unbedeutendheit war einem gewinnenden Liebreiz gewichen.
»Sie sind sehr gütig«, stammelte sie, »ich weiß gar nicht, wie ich —«
Doch sie unterbrach sich, denn auf der Schwelle erschien der Kassierer Lhomme. Er trug einen großen Ledersack in der einen Hand, während er mit dem verstümmelten Arm eine riesige Tasche an seine Brust drückte. Hinter ihm kam sein Sohn Albert, ebenfalls mit Geldsäcken beladen.
»«587 210 Franken 30 Centimes!« rief der Kassierer, dessen weiches, verschwommenes Gesicht gleichsam im Widerschein einer so ungeheuren Summe zu strahlen schien.
Dies war die größte Tageseinnahme, die das »Paradies der Damen« je gehabt hatte.
»Das ist ja großartig!« rief Mouret entzückt. »Mein braver Lhomme, legen Sie es nur hin und ruhen Sie sich aus, Sie können ja gar nicht mehr. Ich werde das Geld schon zur Hauptkasse schaffen lassen. Ja, ja, packen Sie nur alles auf meinen Schreibtisch, ich will mich erst mal an dem Anblick weiden.«
Er war fröhlich wie ein Kind. Der Kassierer und sein Sohn entledigten sich ihrer Last. Der Ledersack gab einen hellen Goldklang von sich, aus zwei weiteren Säcken flossen Silber- und Kupferstücke heraus, während die Tasche ganze Bündel von Banknoten sehen ließ.
Als die beiden, sich den Schweiß vom Gesicht trocknend, gegangen waren, stand Mouret einen Augenblick unbeweglich da, den Blick auf das Geld gerichtet. Beim Aufschauen bemerkte er Denise, die in den Hintergrund getreten war. Da lächelte er wieder, forderte sie auf näherzukommen und sagte schließlich, er wolle ihr schenken, was sie mit einem Griff nehmen könne. Dieser Scherz klang wie ein Liebeshandel.
»Greifen Sie in den Ledersack! Ich wette, daß Sie weniger als tausend Franken herausnehmen. Ihre Hand ist ja so klein.«
Allein sie war blaß geworden und wich noch mehr zurück. Liebte er sie denn? Sie begriff plötzlich und fühlte die zunehmende Flamme seiner Leidenschaft, mit der er sie umgab, seit sie in die Konfektionsabteilung zurückgekehrt war. Noch
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