Das Paradies der Damen - 11
durch den Kopf gegangen, und Sie wissen doch, daß ich nicht lüge.«
»Nun, wenn Sie es jedenfalls gewollt hätten«, sagte Pauline, »dann hätten Sie sich nicht anders benehmen können, als Sie es tun … Die Sache muß doch mal ein Ende nehmen, und da gibt es kein anderes Mittel als Heirat, da Sie das andere nicht wollen! Hören Sie: alle hier denken so wie ich, man ist überzeugt, daß Sie ihm den Brotkorb nur so hoch hängen, um ihn zum Standesbeamten zu führen … Mein Gott, sind Sie komisch!«
Sie mußte Denise trösten, die abermals mit dem Kopf auf das Kissen gesunken war und schluchzend wiederholte, sie werde schließlich doch noch fortgehen müssen, wenn man ihr ununterbrochen Geschichten andichte, die ihr niemals in den Sinn gekommen wären. —
Zur selben Zeit ging Mouret unten durch das Geschäft. Um seinen Kummer zu betäuben, wollte er wieder einmal die Bauarbeiten besichtigen. Monate waren verflossen, die neue Fassade stand kurz vor der Fertigstellung. Die Rue du Dix-Décembre, seit kurzer Zeit eröffnet, war vom Morgen bis zum Abend voll von einer Menge Neugieriger, die zu den verkleideten Gerüsten emporstarrten und sich mit den Wundern beschäftigten, die man sich von diesem Bau erzählte. Allein gerade auf diesem von fieberhafter Arbeit erfüllten Bauplatz mitten unter den Handwerkern, welche die Verwirklichung seines Traums vollendeten, empfand Mouret bitterer als sonstwo die Nichtigkeit seines Glücks. Der Gedanke an Denise schnürte ihm die Brust zu. Was nützte ihm all diese Pracht, wenn sie doch die Leere seines Herzens nicht ausfüllen konnte?
Als Mouret in sein Arbeitszimmer zurückkehrte, würgte ihn ein Schluchzen. Was wollte sie denn? Er wagte nicht mehr, ihr Geld anzubieten. Und zum erstenmal tauchte in dem noch widerstrebenden jungen Witwer unklar der Gedanke an eine Heirat auf. Das Gefühl seiner Machtlosigkeit erpreßte ihm endlich heiße Tränen; er war unglücklich.
Dreizehntes Kapitel
Als an einem Novembermorgen Denise eben ihre ersten Anweisungen in der Abteilung gab, kam das Dienstmädchen der Baudus, um ihr zu melden, daß Fräulein Geneviève eine sehr schlechte Nacht verbracht habe und ihre Kusine wenn möglich gleich sehen wolle. In letzter Zeit war das Mädchen von Tag zu Tag schwächer geworden, und vor zwei Tagen hatte sie sich ganz zu Bett legen müssen. Die Ursache war das plötzliche Verschwinden Colombans. Anfangs hatte er sich damit begnügt, öfters über Nacht auszubleiben, dann war er immer mehr der gehorsame Hund Claires geworden, und endlich hatte Baudu an einem Montagmorgen einen Brief von ihm erhalten, in dem er von ihm Abschied nahm, und zwar in so gesuchten Worten, als trage er sich mit Selbstmordgedanken. Vielleicht schlummerte unter diesem Streich aus Leidenschaft auch die schlaue Berechnung eines Burschen, der entzückt war, so um eine ihm immer unerwünschtere Ehe herumkommen zu können. Baudus Geschäft ging es ebenso trostlos wie seiner Tochter, und da nahm Colomban eben die Gelegenheit wahr, auf diese unschöne Weise die Beziehungen abzubrechen. Dabei hielt ihn noch jedermann für ein Opfer seiner unglücklichen Liebe.
Als Denise in den »Vieil Elbeuf« hinüberkam, war Frau Baudu allein. Regungslos saß sie hinter der Kasse und hütete den leeren Laden. Es war kein Angestellter mehr da, nur das Dienstmädchen staubte die Fächer ab. Stunden vergingen oft, ohne daß eine Kundin die Stille störte, und die Waren, die manchmal wochenlang nicht berührt wurden, verkamen mehr und mehr.
»Was gibt es denn?« fragte Denise lebhaft. »Ist etwas mit Geneviève?«
Frau Baudu antwortete nicht sofort, ihre Augen füllten sich mit Tränen, dann stammelte sie:
»Ich weiß nicht, man sagt mir ja nichts. Ich glaube, es ist alles aus.«
Mit tränenumflorten Blicken sah sie umher, als fühlte sie das Haus und ihre Tochter zusammen dahinschwinden. Die siebzigtausend Franken, die sie für ihr Landgut bekommen hatten, waren in weniger als zwei Jahren durch den erbarmungslosen Wettbewerb verschlungen worden. Um gegen das »Paradies der Damen« ankämpfen zu können, das jetzt auch Herrentuche, Jagdsamte und Livreestoffe führte, hatte der Tuchhändler schwere Opfer bringen müssen. Seine Schulden waren allmählich immer größer geworden; als letzte Hilfsquelle hatte er auf das Grundstück in der Rue de la Michodière, auf dem der alte Finet, sein Vorgänger, das Haus gegründet hatte, eine Hypothek aufgenommen. Doch es war alles zwecklos, der
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