Das Paradies der Damen - 11
erledigt in die Arme einer Frau gesunken war? Wie in kameradschaftlichem Mitgefühl drückte er ihm die Hand und sagte:
»Nur Mut, zum Teufel! Heiraten Sie sie, und die Quälerei hat ein Ende.«
Doch Mouret hatte sich schon wieder gefaßt. Er erhob sich und widersprach.
»Nein, nein, es ist zu dumm! — Kommen Sie, wir wollen die Runde durchs Geschäft machen. Der Verkauf läuft schon, ich denke, es wird ein prächtiger Tag.«
Sie gingen hinaus und traten ihren Rundgang durch die übervollen Abteilungen an. Bourdoncle betrachtete ihn argwöhnisch von der Seite, beunruhigt durch diesen letzten Anflug von Tatkraft.
In der Kinderabteilung drängten sich zahllose Mütter mit ihren Kleinen, die fast verschwanden unter der Flut von Sachen, die man ihnen anprobierte. Auch Frau Bourdelais war da mit ihren drei Kindern, Madeleine, Edmond und Lucien; sie ärgerte sich eben über den Jüngsten, weil er nicht ruhig stehen wollte, während Denise sich bemühte, ihm ein weißes Jackett überzuziehen.
»So halt doch still! — Glauben Sie nicht, Fräulein, daß es etwas zu eng ist? Es ist so schwer, für diese kleinen Leutchen das Richtige zu finden … Dann brauchen wir noch einen Mantel für mein Töchterchen.«
Denise war eben im Begriff, einen Mantel für Madeleine zu suchen, als sie einen Ruf der Überraschung ausstieß.
»Wie, du bist es? Was ist denn los?«
Ihr Bruder Jean, mit einem Paket in der Hand, stand vor ihr. Er war seit acht Tagen verheiratet, und seine Frau, eine kleine Brünette mit reizendem Gesicht, hatte letzten Samstag einen langen Besuch im »Paradies der Damen« gemacht, um verschiedenes einzukaufen. Das junge Ehepaar sollte Denise nach Valognes begleiten. Es sollte eine regelrechte Hochzeitsreise werden.
»Denke dir«, sagte er, »Thérèse hat eine Menge Sachen vergessen. Ein paar sind auch umzutauschen, und da sie selbst sehr viel zu tun hat, hat sie mich mit diesem Paket hergeschickt. Ich will dir erklären …«
Doch sie unterbrach ihn, als sie auch Pépé bemerkte.
»Wie — Pépé hier? Und was ist mit dem Internat?«
»Meiner Treu«, sagte Jean, »er war doch zum Wochenende bei uns, und da hab ich es nicht fertiggebracht, ihn wieder zurückzubringen; er will erst am Abend hin. Der arme Kerl ist traurig genug, daß er in Paris eingesperrt bleiben muß, während wir eine Vergnügungsreise machen.«
Denise lächelte, obgleich die Arbeit ihr fast über den Kopf wuchs. Sie überließ Frau Bourdelais einer ihrer Verkäuferinnen und begab sich mit ihren Brüdern in einen Winkel der Abteilung, wo das Gedränge weniger stark war. Die Kleinen, wie sie sie nach wie vor nannte, waren recht stattliche Burschen geworden. Pépé, zwölf Jahre alt, ein hübscher Junge in seinem Internatsanzug, war schon größer als sie selbst, allein immer noch zart und anschmiegsam. Jean war breitschultrig und kräftig geworden, er überragte sie um einen ganzen Kopf; dennoch hatte er seine ganze frauenhafte Schönheit behalten. Die kleine und zarte Schwester bewahrte ihnen gegenüber die mütterliche Autorität und behandelte sie weiterhin wie große Jungen, die man betreuen muß. Sie tadelte Jean, weil er seine Jacke nicht ordentlich zugeknöpft hatte, und überzeugte sich, ob Pépé auch ein reines Taschentuch bei sich habe. Als sie sah, daß der Jüngere geweint hatte, schalt sie ihn freundlich aus.
»Sei doch gescheit, Kleiner, man darf seine Schulstunden nicht schwänzen; in den Ferien will ich dich mitnehmen. Soll ich dir etwas Taschengeld geben?«
Dann wandte sie sich zum andern:
»Du verdrehst ihm den Kopf, indem du ihm erzählst, daß wir eine Vergnügungsreise machen. Sei doch du wenigstens vernünftiger!«
Sie hatte dem älteren Bruder viertausend Franken, die Hälfte ihrer Ersparnisse, gegeben, damit er seinen Haushalt einrichten konnte. Der jüngere kostete sie im Internat viel Geld. Sie gab wie eh und je ihren ganzen Verdienst für die Brüder aus, lebte und arbeitete nur für sie, entschlossen, niemals zu heiraten.
»Da ist vor allem in diesem Paket der havannabraune Mantel, den Thérèse –«
Er unterbrach sich, und als Denise sich umwandte, um festzustellen, was Jean die Rede verschlagen hatte, sah sie Mouret hinter sich stehen.
Er beobachtete schon seit einer Weile, wie sie mit den beiden Jungen umging, sie bald ausschalt, bald zärtlich bemutterte. Bourdoncle war abseits stehengeblieben, scheinbar widmete er sich ganz dem Verkauf, in Wirklichkeit aber ließ er kein Auge von dieser
Weitere Kostenlose Bücher