Das Paradies der Damen - 11
Hutin einen Kasten mit Samt herabholte, »da angelt Ihnen Bouthemont Ihre Freundin weg.«
Hutin hatte Frau Desforges schon längst vergessen, denn er war außer sich über eine alte Dame, die ihn eine volle Viertelstunde aufgehalten hatte, um dann einen Meter schwarzen Atlas zu kaufen. Wenn der Andrang zu arg wurde, hielt man sich nicht mehr an die auf der Tafel stehende Reihenfolge, sondern die Verkäufer bedienten, wie es eben kam. Gerade wollte Hutin sich Frau Boutarel zuwenden, die nun auch ihren Nachmittag im »Paradies der Damen« totschlug, nachdem sie schon vormittags drei Stunden hier zugebracht hatte, da versetzte ihn der Wink Faviers in höchste Aufregung. Wie, sollte ihm die Freundin des Chefs entgehen, von der er sich hundert Sous Provision versprochen hatte? In diesem Augenblick hörte er Bouthemont rufen:
»Meine Herren, jemand hierher!«
Da gab Hutin Frau Boutarel an Robineau ab, der eben unbeschäftigt war.
»Hier, gnädige Frau, wenden Sie sich bitte an den Zweiten; er wird Sie besser bedienen als ich.«
Damit ging er los und ließ sich von dem Verkäufer aus der Wollwarenabteilung die Sachen von Frau Marty geben, die dieser hinter den Damen hergetragen hatte. Eine nervöse Aufregung schien heute seinen sonst so feinen Spürsinn zu trüben. Gewöhnlich konnte er beim ersten Blick auf eine Kundin sagen, ob und wieviel sie kaufen werde. Je nachdem benahm er sich dann und beeilte sich, mit ihr fertig zu werden, um zu einer anderen überzugehen, indem er sie totredete und sie zu überzeugen suchte, daß er viel besser wisse als sie selbst, welchen Stoff sie brauche.
»Was für eine Art Seide darf es sein?« fragte er Frau Desforges mit seiner liebenswürdigsten Miene.
Sie hatte kaum den Mund geöffnet, um zu antworten, als er auch schon fortfuhr:
»Ich weiß, ich weiß – ich habe genau, was Sie brauchen.«
Als das Stück »Pariser Glück« auf einer Ecke des Tisches unter verschiedenen anderen Seidenstoffen, die bergeweise überall herumlagen, aufgerollt war, traten Frau Marty und ihre Tochter näher. Hutin, etwas enttäuscht, begriff, daß es sich zunächst um einen Kauf dieser beiden handelte. Halblaut geflüsterte Worte wurden ausgetauscht, Frau Desforges beriet die Damen.
»Natürlich, eine Seide zu fünf Franken sechzig wird niemals so gut sein wie eine zu fünfzehn oder auch nur zu zehn Franken.«
»Sie ist recht dünn«, meinte Frau Marty; »ich finde sie zu leicht für einen Mantel.«
Diese Bemerkung veranlaßte Hutin, sich einzumengen. Er lächelte und sagte mit der überlegenen Höflichkeit des Mannes, der sich einfach nicht täuschen kann:
»Gnädige Frau, die Schmiegsamkeit ist eben die hervorstechende Eigenschaft dieser Seide, sie gibt nach, sie zerreißt nicht … Dieser Stoff wird zu Ihnen am besten passen.«
Unter dem Eindruck einer solchen Entschiedenheit schwiegen die Damen; sie nahmen den Stoff wieder zur Hand und prüften ihn, als jemand sie an der Schulter berührte. Es war Frau Guibal, die schon seit einer Stunde im Geschäft herumspazierte und ihre Augen an den hier aufgestapelten Reichtümern weidete, ohne auch nur einen Meter Kaliko zu kaufen. Jetzt ging das Schwatzen von neuem los.
»Wie, Sie sind es?«
»Ja, ich bin es, und schon reichlich herumgestoßen.«
»Nicht wahr, ein Riesenandrang! Man kann kaum vorwärtskommen. Haben Sie den orientalischen Saal gesehen?«
»Ja, er ist hinreißend.«
»Mein Gott, welcher Erfolg! Bleiben Sie noch, wir gehen zusammen hinauf.«
»Nein, danke, ich komme von oben.«
Hutin wartete und verbarg seine Ungeduld mühsam unter einem gleichbleibenden Lächeln. Würden sie ihn noch lange so aufhalten? Die Frauen genierten sich doch gar nicht, es war gerade, als wollten sie ihm das Geld aus der Tasche stehlen. Endlich setzte Frau Guibal ihren Weg fort; langsam, mit entzückter Miene machte sie die Runde um die große Seidendekoration.
»Ich an Ihrer Stelle würde den Mantel fertig kaufen«, sagte Frau Desforges, plötzlich auf das »Pariser Glück« zurückkommend.
»Das wird billiger für Sie.«
»Sie können recht haben; wenn ich das Anfertigen und die Zutaten rechne …«, murmelte Frau Marty. »Und dann habe ich unter den fertigen Mänteln eine größere Auswahl.«
Alle drei hatten sich erhoben. Frau Desforges wandte sich an Hutin und sagte:
»Wollen Sie uns in die Konfektionsabteilung führen?«
Er stand verblüfft da, an solche Mißerfolge war er nicht gewöhnt. Wie, die brünette Dame kaufte nichts? Sollte seine
Weitere Kostenlose Bücher