Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Schmerz aufstöhnte, wenn sie sich in ihrem Bett umdrehte. Noch mehr litt sie unter den plumpen Schuhen, die sie aus Valognes mitgebracht hatte und die sie nicht durch leichte Stiefelchen ersetzen konnte, weil ihr das Geld dazu fehlte. Da sie immer auf den Beinen war, unaufhörlich hin und her lief, aus Furcht, gescholten zu werden, wenn man sie eine Minute an der Wand lehnen sah, schwollen ihr die Füße an; in den Sohlen fühlte sie ein fieberhaftes Brennen, sie waren über und über mit Blasen bedeckt. Sie kam sich vor wie geschlagen, ihre unnatürliche Blässe verriet, daß ihre körperlichen Funktionen ihr schwer zu schaffen machten. Allein so schmächtig und gebrechlich sie war, sie gab trotzdem nicht auf.
    Ihr größter Kummer war, daß die ganze Abteilung ihr feindlich gegenüberstand. Zu den körperlichen Leiden kam das intrigante Verhalten ihrer Kolleginnen. Nach zwei Monaten der Geduld und Sanftmut hatte sie sie noch immer nicht entwaffnet. Es gab nach wie vor verletzende Worte, grausame Erfindungen, Äußerungen der Geringschätzung, die sie in ihrem Bedürfnis nach Freundlichkeit und Güte im Innersten trafen. Lange Zeit machte man sich über ihr unglückliches erstes Auftreten lustig; Ausdrücke wie »Holzpantine«, »Büffelkopf« liefen um; solche Verkäuferinnen müsse man nach Valognes zurückschicken, hieß es; kurz, sie galt als die Dümmste in der Abteilung. Als man dann die Erfahrung machen mußte, daß sie eine ganz bemerkenswerte Verkäuferin war, die mit dem Getriebe des Hauses bald gut Bescheid wußte, war man verblüfft und entrüstet; von diesem Augenblick an schien unter den Kolleginnen die stillschweigende Übereinkunft zu bestehen, ihr niemals eine ernsthafte Kundin zukommen zu lassen. Marguerite und Claire verfolgten sie mit einem instinktiven Haß und verbündeten sich, um nicht von dieser Neuen verdrängt zu werden, die sie trotz ihrer erheuchelten Geringschätzung fürchteten. Frau Aurélie hinwiederum war verletzt durch die stolze Zurückhaltung des Mädchens, das sich nicht fortwährend mit dem Ausdruck der Bewunderung um ihre kostbare Person zu schaffen machte; sie überließ sie daher den Bosheiten ihrer Günstlinge, den Bevorzugten des Hofstaates, die fortwährend vor ihr auf den Knien lagen, nur damit beschäftigt, ihrer Autorität zu schmeicheln. Frau Frédéric, die Zweite, schien sich einen Augenblick diesem Komplott nicht anschließen zu wollen; sie bereute es aber wohl, denn bald zeigte auch sie sich ebenso hart wie die übrigen, als sie merkte, daß jede Freundlichkeit Denise gegenüber ihr die Mißgunst der übrigen zuziehen konnte. Das junge Mädchen war somit auf sich allein gestellt, alle verfolgten die »Löwenmähne«, sie lebte in einem fortwährenden Kampf und brachte es nur mit all ihrem Mut fertig, sich in der Abteilung zu halten. Und bei dem allem mußte sie lächeln und sich anmutig geben, wenn sie auch fast verging vor Erschöpfung und Sorgen. Ihr einziger Zufluchtsort war ihr Zimmerchen, wo sie nach den Leiden und Anstrengungen des Tages ihren Tränen freien Lauf lassen konnte.
    Mouret hatte sie nie mehr angesprochen. Wenn sie dem strengen Blick Bourdoncles begegnete, fuhr sie zusammen, denn sie ahnte in ihm ihren natürlichen Gegner, der ihr nicht den geringsten Fehler nachsehen würde. Inmitten dieser allgemeinen Feindseligkeit war sie erstaunt über das seltsame Wohlwollen des Inspektors Jouve; wenn er ihr irgendwo abseits begegnete, lächelte er ihr zu und suchte ihr ein freundliches Wort zu sagen; schon zweimal hatte er Rügen von ihr abgewendet, aber sie war davon mehr verwirrt als gerührt.
    Als eines Abends nach dem Essen die Verkäuferinnen eben dabei waren, die Schränke einzuräumen, kam der Laufbursche Joseph, um Denise zu benachrichtigen, daß ein junger Mann sie unten erwarte. Sie fuhr erschrocken zusammen.
    »Schau, schau«, sagte Claire, »die ›Löwenmähne‹ scheint einen Liebhaber zu haben.«
    »Der muß aber arg hungrig sein«, lachte Marguerite.
    Denise fand am Eingang ihren Bruder Jean. Sie hatte ihm in aller Form verboten, sie im Geschäft aufzusuchen, weil es einen schlechten Eindruck mache. Doch sie wagte nicht, ihn auszuschelten, so verstört wirkte er. Er war noch ganz atemlos, vom Faubourg du Temple bis hierher gelaufen.
    »Hast du zehn Franken?« stammelte er. »Gib mir zehn Franken, oder ich bin verloren.«
    Der große Bursche mit seinen blonden Haaren und seinem hübschen Mädchengesicht war so drollig, als er diese Worte

Weitere Kostenlose Bücher