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Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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zuerst in einem Geschäft in Batignolles, dann im »Paradies der Damen«. Es waren fürchterliche Zeiten gewesen, alle erdenklichen Kränkungen und Entbehrungen hatte sie mitgemacht. Endlich kam sie auf ihr gegenwärtiges Leben, sie sprach von den zweihundert Franken, die sie monatlich verdiente, von den Vergnügungen, die sie sich gönnte, von der Sorglosigkeit, in der ihre Tage dahinflössen. Sie trug ein schönes blaues Tuchkleid, eine Brosche und eine Uhrkette, und sie lächelte unter ihrem Samthütchen, das mit einer großen grauen Feder geschmückt war.
    Denise war mit ihrem Schuh in der Hand sehr rot geworden. Sie wollte eine Erklärung hervorstottern.
    »Sagen Sie nichts, es ist mir geradeso ergangen«, wiederholte Pauline. »Sehen Sie mal, ich bin die Ältere, ich bin sechsundzwanzig, wenn man es mir auch nicht ansieht … Erzählen Sie mir doch von Ihren kleinen Sorgen …«
    Angesichts dieser Freundschaft, die sich ihr so offen darbot, gab Denise nach. Im Unterrock, einen alten Schal über den Schultern, setzte sie sich neben Pauline, die in voller Toilette war, sprach von Jean und Pépé und gestand, wie sehr die Geldfrage sie quäle; dies brachte die beiden auf die anderen Kolleginnen der Konfektionsabteilung, und Pauline machte ihrem Herzen ordentlich Luft.
    »Diese Bestien! Ich sehe recht gut, was sie mit Ihnen treiben. Wenn sie sich nur ein bißchen kameradschaftlich gegen Sie benehmen wollten, müßten Sie auf hundert Franken monatlich kommen.«
    »Alle sind sie gegen mich, und ich weiß nicht einmal, weshalb«, fuhr Denise fort, wobei die Tränen ihr in die Augen traten. »Auch Herr Bourdoncle ist fortwährend hinter mir her, um mich bei irgendeinem Fehler zu erwischen … Bloß der alte Jouve –« Pauline unterbrach sie.
    »Der alte Affe von Inspektor! Meine Liebe, trauen Sie dem nicht! Männer mit solchen großen Nasen … Er mag sich lange brüsten mit seinen Orden; man erzählt sich da eine Geschichte, die er bei uns in der Wäscheabteilung gehabt haben soll … Aber Sie sind doch ein Kind, daß Sie sich so kränken! Ist das ein Unglück, wenn man so empfindlich ist! Was Ihnen geschieht, ist allen geschehen … Sie sind neu und müssen Ihr Einstandsgeld zahlen.«
    Sie hatte sie bei den Händen genommen, ganz von ihrem guten Herzen fortgerissen. Die Geldfrage sei allerdings sehr ernst, meinte sie. Ein junges Mädchen könne nicht für zwei Brüder sorgen, die Pension für den Kleinen bezahlen und die Geliebten des Größeren aushalten, wenn es nur die elenden paar Sous verdiene, welche die ändern ihm aus Erbarmen überließen.
    »Hören Sie, dieses Leben kann nicht so weitergehen«, sagte Pauline. »Ich an Ihrer Stelle …«
    Ein Geräusch im Korridor ließ sie verstummen. Sie spitzte die Ohren, dann fuhr sie leise im Ton zärtlicher Überredung fort:
    »Ich an Ihrer Stelle würde mir jemanden nehmen.«
    »Wie, jemanden nehmen?« murmelte Denise, ohne gleich zu begreifen.
    Als sie endlich verstanden hatte, zog sie verblüfft ihre Hand aus der der Freundin. Dieser Ratschlag brachte sie in Verlegenheit; ein solcher Gedanke war ihr noch nie gekommen, und sie konnte auch den Vorteil nicht einsehen.
    »Nein«, antwortete sie einfach.
    »Dann werden Sie nie weiterkommen«, sagte Pauline. »Rechnen Sie sich das doch aus: vierzig Franken zahlen Sie für den Kleinen, dem Großen müssen Sie hier und da ein Hundertsoustück geben; Sie selbst können auch nicht immer wie eine Bettlerin herumlaufen in Schuhen, über die sich alle lustig machen … Nehmen Sie sich jemanden, das wäre viel besser.«
    »Nein«, wiederholte Denise.
    »Sie sind nicht recht gescheit. Es geht ja gar nicht anders, und es ist doch auch ganz natürlich. Wir haben es alle überstanden. Sehen Sie, ich hatte anfangs auch kein festes Gehalt, nicht einen Sou. Allerdings, Verpflegung und Wohnung sind frei; aber man hat ja schließlich Toilettenbedürfnisse, und wie soll man denn so ohne alles leben, eingeschlossen in seinem Zimmer, wo man nichts sieht als die Fliegen an der Wand! Da muß man’s eben laufen lassen, früher oder später ist es soweit …«
    Sie sprach von ihrem ersten Liebhaber, einem Schreiber bei einem Rechtsanwalt, den sie auf einer Landpartie in Meudon kennengelernt hatte. Nach ihm war ein Postbeamter gekommen, und seit dem Herbst hatte sie einen Angestellen aus dem »Bon-Marché«, einen großen, netten Jungen, mit dem sie ihre ganze freie Zeit verbrachte. Übrigens hatte sie immer nur einen. Sie war anständig und

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