Das Paradies der Damen - 11
sie an diesem Tag sehr beschäftigt waren, allein es war erst Dienstag, und sie mußte noch vier Tage warten, bis sie ihren Wochen verdienst ausbezahlt erhielt. Nach dem Essen beschloß sie, ihren Besuch bei Frau Gras auf den folgenden Tag zu verschieben; sie würde sich entschuldigen, sie habe zu viel zu tun gehabt, und bis dahin würde es ihr vielleicht gelingen, die fehlenden sechs Franken zusammenzubekommen.
Da Denise für sich selbst die geringsten Ausgaben vermied, ging sie zeitig in ihre Kammer hinauf, um zu Bett zu gehen. Was hätte sie auch auf den Straßen anfangen sollen, ohne einen Sou und noch immer verwirrt durch diese große Stadt, in der sie bloß die benachbarten Gassen kannte. Sie wagte sich zuweilen bis zum Palais Royal, um etwas frische Luft zu schöpfen, dann kehrte sie rasch wieder heim, schloß sich in ihr Zimmerchen ein und begann zu nähen oder zu waschen. Sie hatte keine Freundin; von allen Mitarbeiterinnen hatte bloß eine einzige, Pauline Cugnot, ihr eine gewisse Sympathie bewiesen; aber da ihre aneinandergrenzenden Abteilungen fortwährend in offener Fehde lagen, mußte die Freundschaft der beiden Verkäuferinnen sich bisher auf einige im Vorübergehen ausgetauschte Worte beschränken. Zwar bewohnte Pauline die Nachbarkainmer zur Rechten; allein da sie jeden Abend nach dem Essen verschwand, um erst gegen elf Uhr wiederzukommen, hörte Denise sie nur, wenn sie zu Bett ging, und begegnete ihr niemals außerhalb der Arbeitsstunden.
Diese Nacht hatte Denise sich entschlossen, wieder einmal Schuster zu spielen. Sie hielt ihre Schuhe in den Händen, betrachtete sie und überlegte, wie sie es anfangen könnte, daß sie noch einen Monat hielten. Endlich nahm sie eine starke Nadel und begann, die abplatzenden Sohlen wieder anzunähen. Mittlerweile lagen in der mit Seifenwasser gefüllten Waschschüssel Kragen und Manschetten eingeweicht.
Jeden Abend hörte sie dieselben Geräusche. Die Frauen und Mädchen kamen eine nach der ändern heim; sie vernahm kurze geflüsterte Gespräche, Gelächter, zuweilen einen gedämpften Streit. Dann ächzten die Betten, und man hörte Gähnen. Endlich sanken die Kammern in einen tiefen Schlaf. Ihre Nachbarin zur Linken träumte laut, was Denise anfangs sehr erschreckt hatte. Vielleicht wachten auch andere Mädchen wie sie, um trotz des Verbots ihre Sachen instandzusetzen. Aber sie taten es gewiß auch sehr vorsichtig, nicht das geringste Geräusch drang durch die Türen.
Elf Uhr war seit einigen Minuten vorüber, als Denise leise Schritte vernahm und den Kopf hob. Sicherlich wieder eine, die sich verspätet hatte. Sie merkte, daß es Pauline war, als sie hörte, daß die anstoßende Tür geöffnet wurde. Zu ihrem Erstaunen kam gleich darauf das Mädchen sachte zu ihr herüber und klopfte.
»Rasch, ich bin es!«
Es war den Verkäuferinnen verboten, einander in ihren Kammern zu besuchen. Denise beeilte sich daher, den Schlüssel herumzudrehen, damit ihre Nachbarin nicht durch Frau Cabin überrascht wurde, die strenge Aufsicht übte.
»War sie da?« fragte sie, die Tür schließend.
»Wer? Frau Cabin?« sagte Pauline. »Ach, die fürchte ich nicht! Mit hundert Sous …«
Dann fügte sie hinzu:
»Ich habe Licht bei Ihnen gesehen und bin gekommen, weil ich schon lange mal mit Ihnen reden wollte; unten kann man ja keine drei Worte miteinander sprechen. Sie sahen mir heute abend bei Tisch so traurig aus!«
Gerührt von der Güte des Mädchens, dankte ihr Denise und bat sie, Platz zu nehmen. Aber in der Verwirrung über den plötzlichen Besuch vergaß sie, den Schuh wegzutun, den sie eben hatte flicken wollen. Pauline sah ihn, schüttelte den Kopf, blickte im Zimmer umher und bemerkte auch den Kragen und die Manschetten in der Waschschüssel.
»Ach, Sie Ärmste, ich habe es mir gedacht«, sagte sie; »ich kenne das nur zu gut. In den ersten Zeiten, als ich aus Chartres gekommen war und mein Vater mir keinen Sou schickte, mußte ich mir meine Hemden auch so waschen; ich hatte nur zwei, eins davon lag immer im Wasser.«
Ihr breites Gesicht mit den kleinen, gutmütigen Augen und dem großen Mund machte einen sehr freundlichen, gewinnenden Eindruck. Sie hatte sich gesetzt, und ohne Übergang erzählte sie plötzlich ihre Geschichte: ihre Jugend in der Mühle; wie Vater Cugnot durch einen Prozeß ruiniert worden war und sie mit zwanzig Franken in der Tasche nach Paris geschickt hatte, um sie da ihr Glück machen zu lassen; ihr erstes Auftreten als Verkäuferin,
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