Das Paradies der Damen - 11
herausbrachte, daß Denise aufgelacht hätte, wenn seine Geldforderung sie nicht so in Angst versetzt hätte.
»Wie, zehn Franken?« stotterte sie. »Was ist denn passiert?«
Er errötete und erklärte, daß er der Schwester eines Kameraden begegnet sei. Denise hieß ihn schweigen, sie wollte davon nichts weiter wissen. Schon zweimal war er gekommen, um in ähnlicher Weise bei ihr Anleihen zu machen; allein es hatte sich bisher nur um geringfügige Beträge gehandelt, das erstemal um fünfundzwanzig Sous, das zweitemal um dreißig Sous. Immer hatte er Weibergeschichten.
»Ich kann dir die zehn Franken nicht geben«, sagte sie. »Ich habe für Pépé die Pension noch nicht bezahlt und besitze gerade so viel, wie das ausmacht. Es wird kaum genug übrigbleiben, daß ich mir ein Paar bequeme Schuhe kaufen kann, die ich sehr dringend brauche … Du bist wirklich unvernünftig, Jean; es ist schlimm mit dir.«
»Dann bin ich verloren«, wiederholte er mit einer tragischen Gebärde. »Hör zu, Schwesterchen: wir sind zusammen mit ihrem Bruder ins Café gegangen, und ich ahnte nicht, daß unsere Zeche so viel ausmachen würde …«
Sie unterbrach ihn, und da sie Tränen in den Augen des lieben Leichtfußes sah, holte sie ihr Portemonnaie aus der Tasche und steckte ihm ein Zehnfrankenstück in die Hand. Und schon lachte er wieder.
»Ich wußte es doch … Aber auf Ehrenwort: Nie wieder! Ich müßte ein abscheulicher Kerl sein!«
Er küßte die Schwester stürmisch auf beide Wangen und lief davon. Einige Angestellte, die die Szene mit angesehen hatten, waren nicht wenig erstaunt.
Denise konnte diese Nacht nicht schlafen. Das Geld war ihre ewige Sorge, seit sie im »Paradies der Damen« arbeitete. Sie hatte noch immer kein festes Gehalt, und da die anderen Mädchen ihr die Verkäufe wegangelten, verdiente sie kaum genug, um für Pépé die Pension zu bezahlen. Oft mußte sie die Nacht damit zubringen, ihre Hemden und Strümpfe auszubessern, ja sogar ihre Schuhe flickte sie so geschickt wie ein Schuster. Für die große Wäsche benutzte sie ihre Waschschüssel. Sie behielt nicht einen Sou zurück, um sich die hundert kleinen Dinge zu kaufen, deren eine Frau bedarf. So war es jedesmal eine Katastrophe, wenn Jean mit seinen Liebesgeschichten erschien und all ihre Berechnungen über den Haufen warf. Ein Zwanzigsoustück riß schon ein beträchtliches Loch in ihre Barschaft; wie sollte sie nun gar zehn Franken wieder einsparen?
Am Morgen hatte sie wie immer zu lächeln und das wohlversorgte Mädchen zu spielen. Es kamen bekannte Kundinnen, Frau Aurélie rief sie wiederholt, um ihr Mäntel umzulegen, damit sie deren neuen Schnitt zur Geltung bringe; und während sie einen um den anderen vorführte, dachte sie an die vierzig Franken für Pépés Pension, die sie am Abend bezahlen sollte. Sie konnte sich notfalls diesen Monat noch mit den alten Schuhen behelfen; aber selbst wenn sie zu den dreißig Franken, die sie besaß, die vier hinzufügte, die sie Sou für Sou beiseite gelegt hatte, um sich neue Schuhe zu kaufen, so machte das immer erst vierunddreißig Franken. Wo sollte sie die fehlenden sechs hernehmen? Diese Sorge schnürte ihr das Herz zusammen.
»Sehen Sie, gnädige Frau, in den Schultern ist er ganz frei. Das sieht großzügig aus, ist sehr bequem … Das Fräulein kann auch mal die Arme verschränken.«
»Oh, gewiß, vorzüglich«, sagte darauf Denise mit liebenswürdiger Miene; »ich spüre ihn gar nicht. Gnädige Frau werden sehr zufrieden sein.«
Sie machte sich jetzt im stillen Vorwürfe darüber, daß sie letzten Sonntag Pépé bei Frau Gras abgeholt hatte, um ihn in den Champs-Elysées spazierenzuführen. Das arme Kind kam so selten fort. Aber sie hatte ihm Lebkuchen und einen Ball kaufen müssen, dann waren sie im Kaspertheater gewesen, und alles zusammen hatte neunundzwanzig Sous gekostet. Wirklich, Jean dachte auch gar nicht an den Kleinen, sonst würde er solche Dummheiten nicht begehen. Alles fiel ihr zur Last.
»Wenn der Mantel Ihnen nicht gefällt«, fuhr die Direktrice fort, »sehen Sie sich vielleicht hier diesen an. Fräulein, nehmen Sie ihn um!«
Denise nahm ihn um, ging mit kurzen Schritten auf und ab und sagte:
»Er ist viel wärmer und in dieser Saison sehr in Mode.«
Unter der äußeren Liebenswürdigkeit, die der Beruf ihr auferlegte, quälte sie sich so bis zum Abend mit der Sorge ab, wo sie das Geld auftreiben sollte. Die anderen überließen ihr zwar einen bedeutenden Verkauf, weil
Weitere Kostenlose Bücher