Das Paradies der Damen - 11
das Essen in die Länge zogen und sich nicht sonderlich beeilten, in die Geschäftsräume zurückzukehren. Viele lasen während des Essens ihre Zeitung, die sie zusammengefaltet an die Flaschen lehnten. Andere wieder unterhielten sich laut, sobald der erste Hunger gestillt war; man sprach von der schlechten Kost, von dem Geld, das man verdiente, davon, was man am letzten Sonntag getrieben hatte, und davon, was man am nächsten Sonntag treiben wollte.
»Was ist’s mit eurem Robineau?« wurde Hutin von einem der Verkäufer gefragt.
Der Kampf der Seidenabteilung gegen den Zweiten beschäftigte alle. Jeden Abend wurde die Angelegenheit im Café Saint-Roch bis Mitternacht besprochen. Hutin, der mit seinem Rindfleisch zu tun hatte, begnügte sich damit, zu sagen:
»Robineau ist wieder zurück.«
Nach einer Weile warf er die Gabel hin und rief wütend:
»Verflucht, das ist ja Eselsfleisch! Ekelhaft!«
»Jammern Sie nicht«, sagte Favier; »ich war so dumm, Fisch zu nehmen, und der stinkt.«
Alle redeten jetzt zugleich, waren sehr entrüstet und machten derbe Späße. In einer Ecke saß an die Wand gelehnt Deloche und aß still vor sich hin. Er war stets erstaunlich bei Appetit und konnte sich nie sattessen. Da er nicht genug verdiente, um sich etwas nebenher zu gönnen, schnitt er sich riesige Stücke Brot ab und aß die widrigsten Gerichte, als seien es auserlesene Leckerbissen. Alle machten sich über ihn lustig. Einer rief:
»Favier, geben Sie Ihren Fisch doch Deloche; er ißt stinkenden Rochen gar zu gern.«
»Und Ihr Fleisch auch, Hutin! Deloche möchte es zum Nachtisch haben.«
Der arme Bursche zuckte die Achseln und sagte nichts. Es war ja nicht seine Schuld, daß er gar so hungrig war. Übrigens taten die anderen nur so spröde: sie stopften sich dennoch voll mit dem, was sie bekamen.
Doch jetzt gebot leises Pfeifen ihnen Stillschweigen. Es war das Signal, daß Mouret und Bourdoncle sich auf dem Flur befanden. Seit einiger Zeit häuften sich die Klagen der Angestellten über die Kost dermaßen, daß die Geschäftsleitung um eine Prüfung nicht mehr herumkam. An diesem Morgen erst hatten sämtliche Abteilungen Abgeordnete an die Direktion entsandt. Mignot und Liénard waren die Sprecher. Alle spitzten jetzt die Ohren, man horchte auf die Reden Mourets und Bourdoncles, die soeben in den benachbarten Speisesaal getreten waren. Bourdoncle fand das Rindfleisch ausgezeichnet, und Mignot, wütend darüber, brummte vor sich hin: »So essen Sie es doch!«, während Liénard auf den Rochen zeigte und ruhig bemerkte: »Der Fisch stinkt!« Da erging sich Mouret in gönnerhaften Reden: er wolle alles tun für das Wohl seiner Angestellten, sagte er; er sei ihr Vater und wolle lieber trockenes Brot essen, wenn nur sie gut verköstigt würden.
»Ich verspreche Ihnen, die Sache zu prüfen«, schloß er laut, damit man ihn von einem Ende des Gangs bis zum andern hörte. Damit war die Untersuchung beendet, das Geklapper der Gabeln ging wieder an. Hutin murrte:
»Ja, zählt nur auf diese Versprechungen! … An schönen Worten lassen sie es nicht fehlen! Dabei bekommen wir alte Schuhsohlen zu essen, und wenn einer schimpft, wird er hinausgejagt wie ein Hund!«
Der Verkäufer, der ihn schon vorhin gefragt hatte, wiederholte jetzt:
»Nun, wie ist es mit Robineau?«
»Ich sage doch, daß er wieder da ist«, erwiderte Hutin. »Aber es wird ernst; denken Sie sich, er hält es mit den Verkäuferinnen! Jawohl: er verschafft ihnen Nebenverdienste durch Krawattennähen!«
»Still!« flüsterte Favier; »da haben sie ihn gerade in Arbeit.« Er zeigte auf Bouthemont, der zwischen Mouret und Bourdoncle durch den Flur ging, alle drei in einem lebhaften, halblauten Gespräch begriffen. Der Speisesaal der Abteilungsleiter und der Zweiten befand sich gerade gegenüber. Als Bouthemont Mouret hatte vorübergehen sehen, war er aufgestanden und erzählte ihm von dem Ärger, den es in seiner Abteilung gab. Die beiden Herren hörten ihn an und schienen anfangs wenig geneigt, Robineau zu opfern, der ein ausgezeichneter Verkäufer war und noch aus den Zeiten von Frau Hédouin stammte. Allein als Bouthemont zu der Geschichte mit den Krawatten kam, geriet Bourdoncle in Zorn. War der Bursche verrückt, daß er sich auf solche Dinge einließ? Was hatte er den Verkäuferinnen Nachtarbeit zu verschaffen? Das Haus bezahlte ihre Arbeitszeit teuer genug. Wenn sie bei Nacht arbeiteten, dann taten sie bei Tag um so weniger: das war doch klar; sie
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