Das Paradies der Damen - 11
bestahlen also die Firma und setzten ihre Gesundheit aufs Spiel, über die sie gar nicht zu verfügen hatten. Die Nacht war zum Schlafen da; jeder hatte zu schlafen, oder er wurde hinausgeworfen.
Mouret teilte die Entrüstung seines Teilhabers. Eine Verkäuferin, die gezwungen war, bei Nacht zu arbeiten – das war gleichsam ein Angriff auf die Organisation des »Paradieses der Damen«. Wer war denn die dumme Person, die mit ihren Bezügen nicht auszukommen verstand? Als aber Bouthemont Denise nannte, wurde er milder und fand die Sache entschuldbar. Ach ja, die Kleine, meinte er; sie war nicht sehr geschickt und hatte gewiß große Verpflichtungen. Aber Bourdoncle unterbrach ihn und erklärte, man müsse sie augenblicklich entlassen. Mit einem so häßlichen Ding sei ohnehin nichts anzufangen, er habe es ja immer gesagt. Mouret lachte verlegen. Mein Gott, wie streng! Sollte man ihr denn nicht noch einmal verzeihen? Man würde sie kommen lassen und ihr eine Rüge erteilen. Alles in allem war Robineau der Hauptschuldige, denn er als alter Verkäufer, mit den Gewohnheiten des Hauses wohlvertraut, hätte so etwas nicht tun dürfen.
»Seht euch das an, der Chef lacht ja gar!« sagte Favier erstaunt, als die drei Herren an der Tür vorbeikamen.
»Verdammt«, fluchte Hutin, »wenn sie darauf bestehen, daß Robineau bleibt, wollen wir ihnen die Hölle schon heiß machen!«
Bourdoncle schaute Mouret ins Gesicht, dann machte er eine geringschätzige Gebärde, als wollte er sagen, er verstehe schon, aber das sei doch nun wirklich zu dumm. Bouthemont hatte seine Klagen wieder aufgenommen. Die Verkäufer drohten zu gehen, darunter einige ausgezeichnete. Allein was die beiden Herren sehr viel mehr zu erregen schien, war das Gerücht, daß Robineau mit dem Fabrikanten Gaujean auf gutem Fuß stehe. Dieser rede ihm zu, erzählte man, sich im Stadtviertel niederzulassen; er wolle ihm einen erheblichen Kredit einräumen, damit er das »Paradies der Damen« ruiniere. Eine Weile schwiegen sie. Dieser Robineau trug sich also mit Konkurrenzgedanken! Mouret war ernst geworden, er tat sehr geringschätzig, konnte sich aber zu keinem Entschluß durchringen.
»Da kommt er gerade«, flüsterte der Abteilungsleiter. »Ich habe ihn zur Warenabnahme geschickt, um einem Konflikt vorzubeugen. Verzeihen Sie, daß ich in diesem Fall so dränge, aber die Dinge sind bis zu einem Punkt gediehen, an dem etwas geschehen muß.«
In der Tat kam eben Robineau vorbei; er grüßte die Herren und begab sich in den Speisesaal.
Mouret begnügte sich damit, zu wiederholen:
»Es ist gut, wir werden sehen.«
Damit gingen sie und ließen Hutin und Favier in der Ungewißheit zurück, wie die Sache denn nun ausgegangen sein mochte.
Der Küchenjunge brachte jetzt den Nachtisch und dann den Kaffee. Wer eine Portion wollte, bezahlte sofort seine drei Sous. Einige Verkäufer waren aufgestanden und schlenderten auf dem Gang auf und ab oder suchten einen dunklen Winkel, wo sie rasch eine Zigarette rauchen könnten; andere saßen schläfrig am Tisch, der mit schmutzigen Tellern und Schüsseln bedeckt war.
»Wie, schon?« rief mit einemmal Hutin.
Eine Glocke ertönte am anderen Ende des Ganges, man mußte der dritten Tafel Platz machen. Einige Burschen erschienen mit Wassereimern und großen Schwämmen, um die mit Wachsleinwand bezogenen Tische zu reinigen. Die Säle leerten sich, die Verkäufer gingen wieder in ihre Abteilungen hinauf.
Hutin und Favier, die unter den letzten waren, sahen Denise herunterkommen.
»Herr Robineau ist wieder da, Fräulein«, sagte Hutin mit spöttischer Höflichkeit.
»Er ist noch bei Tisch«, fügte der andere hinzu, »aber wenn Sie es eilig haben, können Sie ja hineingehen.«
Denise ging schweigend an ihnen vorüber; allein als sie am Speisesaal der Abteilungsleiter und der Zweiten vorbeikam, warf sie einen Blick hinein. Robineau war in der Tat noch da. Sie wollte versuchen, nachmittags mit ihm zu sprechen.
Das weibliche Personal aß in zwei besonderen Räumen, die etwas besser eingerichtet waren. Ein ovaler Tisch stand in der Mitte, zwischen den fünfzehn Gedecken war etwas mehr Platz, und der Wein war in Karaffen abgefüllt. An beiden Enden des Tisches waren eine Schüssel Rochen und eine Schüssel Rindfleisch mit pikanter Soße aufgetragen. Küchenjungen mit weißen Schürzen bedienten die Damen, die sich so ihre Portionen wenigstens nicht selbst am Schalter abholen mußten. Die Geschäftsleitung hatte dies passender
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