Das Paradies der Damen - 11
gefunden.
»Sie haben einen Umweg gemacht?« fragte Pauline, die bereits bei Tisch saß und sich Brot abschnitt.
»Ja, ich habe eine Kundin begleitet«, erwiderte Denise.
Sie log. Claire stieß die neben ihr sitzende Verkäuferin mit dem Ellbogen an. Was hatte die »Löwenmähne« heute nur? Sie benahm sich so seltsam. Erst bekam sie einen Brief nach dem ändern von ihrem Liebhaber, und dann rannte sie unter irgendeinem Vorwand wie eine Wahnsinnige durch sämtliche Abteilungen. Sicherlich ging da etwas vor! Während sie ohne Widerwillen mit der Unbekümmertheit eines Mädchens, das schon von ranzigem Speck gelebt hat, ihren Rochen aß, begann sie von einer schrecklichen Geschichte zu sprechen, die in allen Zeitungen stand.
»Haben Sie von dem Mann gelesen, der seiner Geliebten mit einem Rasiermesser den Hals abgeschnitten hat?«
»Er hat ganz recht gehabt«, bemerkte eine kleine Verkäuferin aus der Wäscheabteilung mit sanftem, zartem Gesicht; »er hat sie mit einem ändern überrascht.«
Da protestierte Pauline.
»Wie«, rief sie, »wenn man einen Mann nicht mehr liebt, dann soll er das Recht haben, einem den Hals abzuschneiden?«
Sie unterbrach sich und wandte sich zu dem Küchenjungen:
»Pierre, ich kann das Rindfleisch nicht hinunterwürgen; sagen Sie in der Küche, man soll mir eine Omelette machen.«
Bis die Omelette fertig war, aß sie Schokoladenplätzchen, die sie in der Tasche hatte; sie trug immer Näschereien mit sich herum.
»Na ja, so ein Mann ist kein Spaß«, bemerkte Claire; »da gibt es ganz schön Eifersüchtige! Neulich erst hat ein Arbeiter seine Frau zum Fenster hinausgeworfen.«
Sie ließ Denise nicht mehr aus den Augen und glaubte, das Richtige getroffen zu haben, als sie das Mädchen erbleichen sah. Kein Zweifel, diese angebliche Unschuld zitterte davor, von ihrem Geliebten, den sie offenbar betrog, geohrfeigt zu werden. Wäre das ein Spaß, wenn es auch noch im Geschäft passierte!
Als der Küchenjunge zum Nachtisch Milchreis brachte, protestierten alle. Vorige Woche erst hatten sie ihn stehen lassen und gehofft, es werde ihn nicht wieder geben. Bloß Denise aß ihn in ihrer Zerstreuung und in der Verwirrung, in die sie während Claires Erzählung beim Gedanken an Jean geraten war. Die übrigen ließen sich etwas anderes bringen, fast alle aßen Eingemachtes. Es gehörte übrigens zum feinen Ton, sich für sein eigenes Geld zusätzlich zu beköstigen.
»Sie wissen doch, daß die Herren sich beschwert haben«, sagte die zarte Wäscheverkäuferin, »und daß die Geschäftsleitung versprochen hat –«
»Still«, flüsterte Pauline, »da ist das alte Biest!«
Es war der Inspektor Jouve. Er liebte es, gegen Ende der Mahlzeiten um die jungen Mädchen herumzustreichen. Übrigens hatte er die Aufsicht in ihren Speisesälen. Er trat lächelnd ein und machte die Runde um die Tische. Zuweilen ließ er sich in ein Gespräch ein und fragte sie, ob sie gut gegessen hätten? Da sie ihn aber fürchteten und er sie langweilte, suchten sie fortzukommen. Obgleich es noch nicht geläutet hatte, verschwand Claire als erste, und die anderen folgten ihr. Bald blieben nur noch Pauline und Denise zurück. Pauline schlürfte ihren Kaffee und aß den Rest ihrer Schokoladenplätzchen.
»Ich will den Jungen fortschicken und mir Orangen holen lassen«, sagte sie dann und stand auf. »Kommen Sie mit?«
»Gleich«, erwiderte Denise, die an einer Brotrinde kaute.
Sie war entschlossen zurückzubleiben, um Gelegenheit zu einer Unterredung mit Robineau zu finden.
Aber als sie mit Jouve allein war, wurde ihr unbehaglich, und sie erhob sich. Sowie sie sich jedoch der Tür näherte, vertrat er ihr den Weg und sagte:
»Fräulein Denise …«
Er stand vor ihr und hatte eine väterlich gutmütige Miene angenommen. Sein grauer Schnurrbart, sein bürstenartig geschnittenes Haar gaben ihm das Aussehen eines biederen Soldaten; dabei streckte er die Brust vor, auf der sein rotes Ordensband prangte.
»Was ist denn, Herr Jouve?« fragte sie.
»Ich habe Sie heute früh wieder dabei überrascht, als Sie mit Ihrer Freundin Pauline hinter den Teppichen plauderten. Sie wissen, das ist verboten, und wenn ich darüber Bericht erstatten wollte … Was habt ihr denn miteinander, daß ihr euch gar so zugetan seid?«
Denise verstand ihn nicht und fühlte sich immer unbehaglicher; er war ganz nahe an sie herangetreten und sprach ihr gerade ins Gesicht.
»Es ist wahr, wir haben geplaudert, Herr Jouve«, stammelte sie; »aber
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