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Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sein. Es wäre doch besser gewesen, alles zu erklären und ihren Bruder vorzustellen. Nun würde man abermals abscheuliche Geschichten über sie erfinden, und sie konnte dann sagen, was sie wollte: man würde ihr nicht glauben. Sie hatte Robineau wieder vollständig vergessen und ging direkt in ihre Abteilung.
    Jouve hingegen eilte sofort zur Geschäftsleitung, um über den Vorfall Bericht zu erstatten. Man sagte ihm, daß Herr Mouret sich in Gesellschaft der Herren Bourdoncle und Robineau befinde. Die Tür stand übrigens halb offen; man konnte Mouret hören, wie er den Zweiten fragte, ob er einen angenehmen Urlaub gehabt habe. Von Entlassung war gar keine Rede; es handelte sich im Gegenteil um verschiedene Maßnahmen, die in seiner Abteilung getroffen werden sollten.
    »Was wünschen Sie, Herr Jouve?« rief Mouret. »Kommen Sie nur herein!«
    Allein mittlerweile war Bourdoncle draußen erschienen, und der alte Jouve zog es vor, die Geschichte ihm zu erzählen. Sie gingen langsam nebeneinander her, der eine leise erzählend, der andere aufmerksam zuhörend, ohne daß ein Zug seines strengen Gesichts seine Empfindung verriet.
    »Es ist gut«, sagte er endlich.
    Da er sich gerade vor der Konfektionsabteilung befand, trat er ein. Frau Aurélie war eben im Begriff, Denise auszuschelten. Woher kam sie denn jetzt wieder? Sie wollte doch nicht noch einmal behaupten, sie sei im Atelier gewesen? Dieses ständige Verschwinden konnte wirklich nicht länger geduldet werden!
    »Frau Aurélie!« rief Bourdoncle.
    Er entschloß sich zu einem Gewaltstreich; er wollte die Sache nicht mit Mouret besprechen, aus Furcht, dieser könnte weich werden. Die Direktrice kam heran, und die Geschichte wurde mit leiser Stimme noch einmal erzählt. Die ganze Abteilung wartete gespannt, jedermann witterte eine Katastrophe. Endlich wandte sich Frau Aurélie mit feierlicher Miene um und sagte mit unerbittlicher Strenge:
    »Fräulein Denise, gehen Sie zur Kasse!«
    Der Befehl tönte laut durch die leere Abteilung. Denise stand bleich und regungslos da. Endlich stammelte sie:
    »Ich? Weshalb denn? Was habe ich getan?«
    Bourdoncle erwiderte hart, das wisse sie nur zu gut und sie täte besser daran, keine Erklärung zu verlangen; dann sprach er von den Krawatten und fügte hinzu, es wäre ein schöner Skandal, wenn alle Damen ihre Männer im Keller empfangen wollten.
    »Aber das war doch mein Bruder!« rief sie mit der schmerzlichen Entrüstung eines Mädchens, dem man Gewalt antut.
    Marguerite und Claire lachten, während Frau Frédéric, sonst so zurückhaltend, ebenfalls ungläubig den Kopf schüttelte. Immer ihr Bruder: das wurde langsam wirklich zu dumm! Denise blickte einen nach dem andern an: Bourdoncle, der ihr vom ersten Tag an feindlich gesinnt gewesen war; Jouve, der dageblieben war, um sich an ihrem Unglück zu weiden, und von dem sie keine Gerechtigkeit zu erwarten hatte; dann diese Mädchen, die eine wie die andere froh und glücklich waren, sie endlich loszuwerden. Wozu sollte sie sich wehren, warum sollte sie sich hier länger aufdrängen, da niemand sie wollte? Sie ging, ohne ein Wort hinzuzufügen. Sie warf nicht einmal einen Blick mehr auf diesen Saal, der so lange Zeit der Schauplatz ihrer Kämpfe gewesen war.
    Doch auf der Treppe zur Halle fühlte sie, wie ein herber Schmerz ihr das Herz zusammenschnürte. Sie dachte plötzlich an Mouret und sagte sich, daß sie sich eine solche Entlassung nicht gefallen lassen dürfe. Würde auch er diese häßliche Geschichte glauben, dieses Stelldichein mit einem Mann unten im Keller? Bei diesem Gedanken wurde sie von Scham gepackt, von einer Beklemmung, wie sie sie noch nie empfunden hatte. Sie wollte ihn aufsuchen und ihm den Sachverhalt erklären; sie wollte gern fortgehen, wenn er nur die Wahrheit erfuhr. Ihre alte Furcht, die Unruhe, die sie in seiner Gegenwart stets erfaßte, verband sich plötzlich mit einem lebhaften Bedürfnis, ihn zu sehen und das Haus nicht zu verlassen, ohne ihm zu versichern, daß sie niemals einem Mann angehört habe. Allein als sie vor der Tür seines Arbeitszimmers angekommen war, bemächtigte sich ihrer eine grenzenlose Traurigkeit. Er würde ihr nicht glauben, er würde lachen wie die übrigen, und diese Furcht raubte ihr den letzten Rest von Mut. Es war aus, es war besser, wenn sie verschwand. Ohne auch nur Pauline oder Deloche von dem Vorfall zu benachrichtigen, ging sie zur Kasse.
    »Sie haben zweiundzwanzig Tage«, sagte der Angestellte, »das macht

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