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Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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wenn er die fünfzehn Franken heute abend nicht bekommt …«
    »Schweig«, flüsterte Denise. »Sofort … Geh nur voraus.«
    Sie waren jetzt im Warenabgang. In der toten Zeit schlief dieser geräumige Keller in dem bleichen Licht, das durch die Fensteröffnungen hereinfiel. Es war kalt hier, tiefe Stille herrschte unter der gewölbten Decke.
    Denise schob ihren Bruder immer weiter. Sie kamen durch einen der schmalen Gänge, in denen ständig das Licht brannte. Rechts und links waren in finsteren Seitenkellern die Ergänzungswaren aufgestapelt, vom Hauptkeller durch Lattenverschläge abgesondert. Endlich hielt sie vor einem der Holzgitter an. Hier würde sie sicher niemand stören, dachte sie; allein es war verboten, in diesen Teil des Kellers zu kommen, und sie zitterte vor Angst, entdeckt zu werden.
    »Wenn dieser Lumpenkerl plaudert«, fuhr Jean fort, »kommt der Mann und —«
    »Wo soll ich aber fünfzehn Franken hernehmen?« unterbrach ihn Denise verzweifelt. »Kannst du denn nicht vernünftig werden? Fortwährend hast du so kuriose Geschichten …«
    Er schlug sich an die Brust und beteuerte, er mache ihr ganz gewiß nichts vor. Bei seiner romantischen Erfindungsgabe wußte er die volle Wahrheit schon selber nicht mehr. Er dramatisierte einfach seine fortwährenden Geldverlegenheiten.
    »Bei allem, was mir heilig ist, ich werde es dir genau erzählen …«
    Sie hieß ihn von neuem schweigen; sie war erzürnt, angeekelt, außer sich.
    »Ich will nichts weiter wissen, behalt deine häßlichen Geschichten für dich. Du quälst mich unaufhörlich, ich bringe mich um, um dich mit Hundertsoustücken zu unterstützen. Ja, ich arbeite die Nächte hindurch … Ganz abgesehen davon, daß du deinem Bruder das Brot vom Mund wegstiehlst.«
    Jean stand ganz blaß und verstört da. Wie, es war häßlich? Er begriff überhaupt nichts mehr! Er hatte seine Schwester immer als Kameradin behandelt und fand es ganz natürlich, daß er ihre Börse plünderte. Hauptsächlich aber verstörte ihn die Mitteilung, daß sie die Nächte durcharbeite. Der Gedanke, daß er sie umbringe und Pépé das Brot wegesse, machte ihn dermaßen bestürzt, daß er zu weinen begann.
    »Du hast recht, ich bin ein schlechter Kerl«, rief er; »aber es ist durchaus nicht häßlich, im Gegenteil — deshalb fängt man ja immer wieder von vorne an … Gib mir die fünfzehn Franken, es wird das letztemal sein, ich schwöre es dir! Oder gib mir nichts, ich will lieber sterben; wenn der Mann mich tötet, bist du mich los.«
    Weil sie nun auch weinte, fühlte er Gewissensbisse.
    »Ich sage das ja nur so, vielleicht will er gar niemanden töten. Wir werden uns schon irgendwie ausgleichen, ich verspreche dir’s, Schwesterchen. Adieu, ich gehe.«
    Da vernahm sie das Geräusch von Schritten, die vom anderen Ende des Ganges herkamen. Alle beide erschraken; sie drängte ihn rasch gegen die Lattentür in einen dunkeln Winkel. Einen Augenblick hörten sie nichts als das Pfeifen der Gasflammen zu ihren Seiten, dann näherten sich die Schritte; sie streckte den Kopf vor und erkannte den Inspektor Jouve, der mit strenger Miene daherkam. War er zufällig hier oder hatte ein anderer Aufpasser ihn benachrichtigt? Sie wurde von einer solchen Furcht ergriffen, daß sie den Kopf verlor. Sie stieß Jean wieder aus dem dunkeln Winkel hervor, wo sie sich beide versteckt hatten, und trieb ihn vor sich her.
    »Geh, geh!«
    Sie liefen beide los, während sie hinter sich den keuchenden Atem des alten Jouve hörten, der sie verfolgte. Sie kamen wieder durch den Warenabgang und gelangten an den Fuß der Treppe, die zu dem verglasten Vorbau an der Rue de la Michodière führte.
    »Geh, geh!« wiederholte Denise, »ich schicke dir die fünfzehn Franken, sobald ich kann.«
    Jean entfloh ganz außer sich. Der Inspektor, der atemlos hinter ihm drein war, sah nur noch einen Zipfel seines weißen Kittels und die flatternden Locken seines blonden Haars. Der alte Jouve verschnaufte einen Augenblick, um seine dienstliche Haltung wiederzufinden. Er trug eine neue weiße Krawatte, die er sich in der Wäscheabteilung gekauft hatte.
    »Das ist ja eine saubere Geschichte, Fräulein!« sagte er mit bebenden Lippen. »Sehr nett! Glauben Sie, ich werde dulden, daß Sie im Keller solche schmutzigen Sachen treiben?«
    Mit diesen Worten verfolgte er sie, während sie ins Geschäft hinaufstieg; die Kehle war ihr wie zusammengeschnürt, sie fand kein Wort der Verteidigung. Jetzt bereute sie, geflohen zu

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