Das Paradies der Damen - 11
achtzehntausend Franken Ablösung, zusammen also dreißigtausend Franken. Aber nicht für fünfzigtausend gehe ich auf den Handel ein! Ich habe sie in meiner Hand, und ich werde noch erleben, daß sie vor mir am Boden liegen!«
»Dreißigtausend Franken sind eine schöne Summe«, bemerkte Denise, »Sie könnten sich dann etwas weiter weg neu einrichten … Und was ist, wenn die andern das Haus kaufen?«
»Das Haus kaufen? Damit hat’s keine Gefahr; sie haben schon im vorigen Jahr davon gesprochen und achtzigtausend Franken geboten, das Doppelte von dem, was es heute wert ist. Aber der Eigentümer, ein ehemaliger Obsthändler, ein Gauner wie sie selbst, wollte noch mehr herausschlagen. Im übrigen wissen sie recht gut, daß ich dann noch weniger nachgeben würde. Nein, nein, ich bin da, und ich bleibe da. Der Kaiser mit all seinen Kanonen kann mich hier nicht hinausbringen.«
Denise wagte nicht mehr, ihm zu widersprechen. Sonst erinnerte er sie wieder an die unwürdige Art, wie sie selbst dort drüben entlassen worden war. Wohl schon zum hundertstenmal hatte sie ihm erzählen müssen, wie sie in die Konfektionsabteilung eingetreten war, was sie anfangs zu leiden gehabt hatte; alles mußte sie wieder und wieder schildern: die kleinen, ungesunden Kammern, die schlechte Kost, den fortwährenden Kampf der Verkäufer untereinander. So sprachen die beiden vom Morgen bis zum Abend von nichts anderem als vom »Paradies der Damen«.
Denise hatte jetzt ihr tägliches Brot. Sie war dem alten Regenschirmhändler, der unter seinem rauhen Äußeren ein gütiges Herz verbarg, dafür zutiefst dankbar. Doch ihr sehnlichster Wunsch war, woanders Arbeit zu finden, denn sie sah, wie er allerhand kleine Aufträge für sie erfand, und begriff, daß er sie nur aus reiner Barmherzigkeit beschäftigte. So verflossen sechs Monate, und man war in der toten Zeit des Winterhalbjahrs angelangt. Sie war in der größten Sorge, wie sie bis zum März eine neue Stelle finden sollte, als eines Abends im Januar Deloche, der unter einem Tor auf sie gewartet hatte, ihr einen Rat gab. Warum ging sie nicht zu Robineau? Dort brauchte man vielleicht jemanden.
Robineau hatte sich im September entschlossen, das Geschäft Vinçards zu übernehmen; allerdings schwebte er nach wie vor in größter Angst, dabei die sechzigtausend Franken seiner Frau einzubüßen. Er hatte vierzigtausend Franken für die Seidenhandlung bezahlt und fing nun mit den restlichen zwanzigtausend an. Das war wenig, aber hinter ihm stand Gaujean, der ihn durch langfristigen Kredit unterstützen wollte. Seit seinem Zerwürfnis mit dem »Paradies der Damen« träumte Gaujean nur mehr davon, Konkurrenten gegen den Koloß zu schaffen; er vertraute auf den Sieg, wenn es gelang, in der Nachbarschaft mehrere Spezialgeschäfte zu errichten, in denen die Kundschaft eine reiche Auswahl fand. Nur die großen Fabrikanten in Lyon wie Dumonteil konnten sich den Forderungen der Warenhäuser beugen. Sie begnügten sich damit, ihre Webstühle laufen zu sehen, und sorgten durch um so höhere Aufschläge gegenüber den kleinen Einzelhändlern für einen gewissen Ausgleich. Aber Gaujean stand nicht so fest auf den Füßen wie Dumonteil. Er war lange Zeit nur Zwischenlieferant gewesen und besaß erst seit fünf Jahren eigene Webstühle; daneben beschäftigte er viele Handwerker, denen er das Material lieferte und die er meterweise bezahlte. So hatte ihm Dumonteil mit dem »Pariser Glück« den Rang abgelaufen, und seither versteifte Gaujean sich mehr und mehr in seinem Groll gegen das »Paradies der Damen«. Robineau war für ihn nur ein Werkzeug in dem entscheidenden Kampf gegen diese Warenhäuser, denen er vorwarf, sie ruinierten den gesamten französischen Handel.
Tatsächlich hatte Denise bei Robineau Glück. Er nahm sie sogleich auf, nachdem tags vorher eine seiner Verkäuferinnen ihn verlassen hatte, um beim »Paradies der Damen« einzutreten.
»Sie lassen einem keinen guten Angestellten«, sagte er. »Aber bei Ihnen bin ich beruhigt; Sie haben keinen Grund, die Burschen dort drüben besonders zu lieben – ganz wie ich. Sie können morgen anfangen.«
Denise war in arger Verlegenheit, als sie am Abend Bourras mitteilen mußte, daß sie ihn verlassen wolle. In der Tat wurde er böse, als er es hörte, und behandelte sie wie eine Undankbare. Als sie mit Tränen in den Augen sich gegen diesen Vorwurf wehrte, wurde er weich, behauptete aber trotzdem, daß er viel Arbeit habe und daß sie ihn gerade
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