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Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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möge nur ruhig bleiben und nicht antworten, vergrub sie ihren Kopf in das Kissen, um die Flüche der Männer nicht mehr zu hören. Dann wieder suchte ihr Nachbar, der Bäcker, mit ihr in Verbindung zu treten. Er kam erst am Morgen heim und lauerte ihr auf, wenn sie Wasser holen ging. Er machte sich sogar Löcher in die Wand, um sehen zu können, wie sie sich wusch; sie mußte daraufhin all ihre Kleider längs der Wand aufhängen. Noch mehr litt sie unter den Zudringlichkeiten auf der Straße, den fortwährenden Belästigungen der Passanten. Sobald sie hinunterging, um eine Kerze oder dergleichen zu kaufen, hörte sie rohe Worte von Männern, die sie oft bis in den dunklen Hof verfolgten, ermutigt durch das schmutzige Aussehen des Hauses. Warum hatte sie denn auch keinen Geliebten? Die Leute staunten darüber und fanden ihr Gehabe lächerlich. Sie mußte doch eines Tages nachgeben. Sie konnte sich selbst nicht erklären, wie es kam, daß sie widerstand, fortwährend bedrängt vom Hunger und von all den Begierden um sie her.
    Eines Abends hatte Denise nicht einmal mehr Brot, um es in Pépés Suppe zu schneiden. Als sie heimkam, folgte ihr ein Herr. Vor dem Hauseingang wurde er frech, und sie schlug ihm in einer Anwandlung von Ekel die Tür vor der Nase zu. Oben sank sie zitternd auf einen Stuhl. Der Kleine schlief. Was sollte sie antworten, wenn er erwachte und zu essen verlangte? Sie hätte doch nur die Bewerbungen der Männer anzunehmen brauchen, und ihre Not hätte ein Ende gehabt, sie hätte Geld, Kleider, ein schönes Zimmer besessen. Es hieß schließlich, daß alle Mädchen darüber einmal hinwegkommen müßten; eine Frau konnte in Paris von ihrer Arbeit allein nicht leben. Aber ihr innerstes Wesen lehnte sich gegen eine solche Lebensweise auf.
    In ihrer Erinnerung klang ein altes Lied auf von der Braut eines Matrosen, die durch ihre treue Liebe vor den Gefahren des Wartens bewahrt wird. Trug denn auch sie eine solche Liebe im Herzen, daß sie so standhaft war? Sie dachte noch immer an Hutin, aber es war eine unangenehme Erinnerung. Sie sah ihn am Morgen und am Abend unter ihrem Fenster vorübergehen. Er war jetzt Zweiter und ging nicht mehr in Gesellschaft der anderen. Er schaute niemals auf, und es war ihr, als schmerze sie die Eitelkeit dieses jungen Mannes; sie blickte ihm häufig nach, da sie keine Überraschung zu befürchten brauchte. Als sie aber merkte, daß auch Mouret jeden Tag vorüberging, befiel sie ein Zittern, sobald er sich näherte, und sie verbarg sich mit hochklopfendem Herzen. Er brauchte nicht zu wissen, wo sie wohnte; sie schämte sich dieses Hauses und litt bei dem Gedanken, daß er schlecht von ihr denken könnte, obgleich sie wußte, daß sie einander wohl schwerlich wieder begegnen würden.
    Übrigens stand Denise noch immer unter dem Eindruck ihres bewegten Lebens im »Paradies der Damen«. Nur eine einfache Wand trennte sie von ihrer ehemaligen Abteilung. Auch bestimmten Begegnungen konnte sie nicht ausweichen. Sie war schon zweimal mit Pauline zusammengetroffen, die ihr ihre Dienste anbot und trostlos war, ihre Freundin unglücklich zu wissen; sie mußte Pauline sogar ihre Wohnung verheimlichen, damit diese sie nicht besuchte oder zu Baugé einlud. Noch sorgfältiger verschwieg sie ihre Lage vor Deloche; er spähte ihr nach, kannte alle ihre Nöte, wartete auf sie unter den Hauseingängen. Eines Abends wollte er ihr dreißig Franken aufdrängen, die Ersparnisse seines Bruders, wie er sagte. Diese Begegnungen führten dazu, daß sie vom »Paradies der Damen« nicht loskam, sich fortwährend mit dem Leben dort beschäftigte.
    Niemand kam zu Denise herauf. Sie war daher sehr erstaunt, als es eines Tages an ihre Tür klopfte. Es war Colomban. Sie empfing ihn stehend. Er stotterte verlegen einige Worte, fragte sie, wie es ihr gehe, und erzählte vom »Vieil Elbeuf«. Bereute der Onkel seine Härte und hatte er ihn hergeschickt? Als sie den jungen Mann offen fragte, wurde er noch verlegener. Nein, nicht sein Chef habe ihn geschickt, sagte er, sondern er sei gekommen, um mit ihr über Claire zu sprechen. Er faßte allmählich Mut und fragte sie um Rat in der Meinung, daß ihm Denise bei ihrer ehemaligen Kollegin nützlich sein könnte.
    Aber das war nun vollends verfehlt. Zu seiner Verzweiflung machte sie ihm auch noch Vorwürfe, daß er wegen eines so herzlosen Mädchens Geneviève kränke. Dennoch wiederholte er seine Besuche und war glücklich, wenn er sich mit jemandem unterhalten

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