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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
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Weißen zu töten. Er tötet ihn gerne, aber er wartet auf einen Befehl, doch keiner der Geister spricht zu ihm. Selbst die Tauben schweigen und das Meer. Die Hexen der Bücher schützen den Weißen, keiner der Ahnen wagt sich hierher, die Bücher verschlingen sie sonst, und sie kehren nur als Buchstaben wieder zurück in die Welt, das kennt er von der Missionsstation. Auch dort kann die Magie nichts anrichten, weil die Missionare überall ihre Schriften verteilen. Wer so viele Bücher hat wie der Weiße, muss über besondere Schutzkräfte verfügen oder übergroße Feinde, gegen die er sich behaupten muss. Kabua klemmt sich einen Stapel Bücher unter den Arm. Entweder sie helfen gegen bösen Zauber oder aber sie helfen, sein Ansehen zu retten. Manche spotten, weil er den Weißen nicht tötet. Er hat Angst, sagen sie, aber er hat schon lange keine Angst mehr. Erwartet nur auf den Befehl der Geister.

Als er erwachte, stand die Sonne schon tief. Gelbes Licht tropfte ihm ins Auge, bald würden die Farben des Meeres explodieren, bevor sie erlöschen, und in einer halben Stunde käme die Nacht. Gerade noch hatte er Anna vor sich gesehen, ihre erste Begegnung damals, ihren Fuß auf einem Tonkrug, den linken Arm an das Fragment einer Säule gelehnt, den Blick in eine Ferne gerichtet, die er nicht kannte. Sie war nackt, die erste nackte Frau seines Lebens, er wusste nicht, dass Frauen so schön sind und so begehrenswert, und er hatte gespürt, wie es in ihm anfing zu glühen, nicht auf die Brüste sehen, nicht auf den dunklen Hof um ihre Warzen, bloß nicht, seine Ohren wurden immer zuerst rot, und alle würden darauf starren. Walter würde ihm die Pranke auf die Schultern klatschen und gefällt dir, was? sagen und anfangen zu lachen, nicht auf die Brüste und nicht auf das schwarze Dreieck zwischen ihren Beinen, das kannte er von Bildern, die die anderen Soldaten vor dem Freitagsgang ins Bordell rumgezeigt hatten, Sollten wir unseren August nicht zwingen , mitzukommen, sonst bleibt er sein Leben lang Jungfrau, doch niemand lachte, und niemand sah auf seine Ohren, sondern auf Anna, die Modell stand, vor ihr Diefenbach, nur ein Tuch um die Hüften gelegt, Farbe im Bart und den Haaren. Er drehte sich um, sah sie an, die klobigen Wanderstiefel, offene Hemden, Schlapphüte, beide knapp über zwanzig, durch ganz Deutschland gewandert, weil sie gehört hatten, dass sich hier Neues ereigne, Unerhörtes, und der Künstler sie nach einigen Briefen eingeladen hatte, zu kommen, auch wenn es nicht einfach sein würde, weil in seinem Kopf die Welt sich anders als in anderen Köpfen male. »Zieht euch aus«, sagte er beiläufig, wandte sich wieder seinem Modell zu, mischte ein wenig Indigo unters Kadmiumgelb, setzte den Pinsel auf die Leinwand, tupfte ein paar Mal vorsichtig; ein kleines Lächeln fuhr über Annas Gesicht, wie Wellen sich kräuseln vom Wind, und Walter nahm probeweise seinen Hut vom Kopf, kratzte sich, sah ihn an, das Mädchen, den Maler, der keiner war, dem man sich widersetzte, auch wenn er sie nicht beachtete, sondern konzentriert weiterarbeitete und doch plötzlich anfing zu sprechen, leise und eindringlich, nicht nur zu ihnen, eher eine Predigt, in der es um das Kleidergift ging, das die ganze Welt angesteckt hatte, wo doch in ihnen selber Gott sei, der Himmel und das Paradies.
    Leicht verlagerte Anna ihr Gewicht auf den anderen Fuß, sodass ihre Schenkel sich etwas öffneten. Zwei Ohren glühten, gleich würden sie zu Asche.
    Nur die Erkenntnis ihrer Göttlichkeit befreit sie von den Banden und dem Fluch des Irrtums und des Verbrechens und des Elends und der Schändung ihrer selbst.
    Ein Lächeln wehte wieder über ihre Lippen, ein Hauch von Spott.
    Mutter Natur hat sie rein geboren und frei von Sünde, Fluch und Schande. Daher sollen sie aufhören, die göttliche Nacktheit des Naturkindes durch die tödliche Kleidung des Kulturmenschen zu verdrängen. Nur der Dekadent, der Schwächling, die Karikatur eines Menschen hat das Recht auf Kleidung, um seine Erbärmlichkeit zu verhüllen. Der reine Mensch, der Schöne aber geht frei. Walter knöpfte sein Hemd auf. Engelhardt sah ihn an und öffnete seines, schneller als der Freund, riss sich das Hemd von der Brust, nestelte an der Gürtelschnalle, die sich verhakt hatte, sodass Walter aufholte, der hastig die hirschlederne Hose fallen ließ, bevor Engelhardt die Hosenträger aufgeknöpft hatte, doch er war fixer bei den Wanderstiefeln und den Socken, beinahe hatten sie

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