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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
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Gleichstand erreicht, jetzt kam es darauf an, und Engelhardt schloss die Augen, ließ die Unterhose hinunterrutschen, eine halbe Sekunde vor Walter. Anna hatte sich umgedreht und musterte beide interessiert und lächelnd. Diefenbach nahm den Pinsel von der Leinwand, sah kurz zu ihnen und sagte, endlich seid ihr ganz angekommen.
     
    Er pflückte noch eine Kulau gegen den Durst in der Nacht, schälte die grüne Schale ab und bohrte die dunklen Stellen an der schmaleren Seite auf. Die Nuss stellte er in den Sand, damit er sie gleich erreichen konnte. Der Tag kämpfte um die letzten Minuten, doch die Nacht trug schon ihr Siegergesicht. Die Palmen im Scherenschnitt gegen den violetten Himmel, die Bücher unförmige Klumpen im Sand. Er hätte eine Lampe mitbringen sollen, dann hätte er die ganze Nacht lesen können, doch eine Lampe war Unnatur, ein Teil der Zuvielisation, wie Diefenbach es genannt hatte, die jede Irritation verhindern will, und sei es die älteste der Menschheit, die über das Ende des Tages und den Einbruch der Nacht. So viel Unnützes komme in die Welt, allein in den vergangenen Jahren, was die Menschen ablenke von dem, was eigentlich wichtig sei, Transatlantikkabel, Aufzüge, Straßenbahnen, Dynamit, Fließbänder, Kaugummi, Glühbirnen, Automobile, Schallplatten, Schreibmaschinen, Pockenimpfung, Röntgentechnik, Zelluloid, Margarine, Luftschiffe, all das dränge ins Land der alten Germanen, die inzwischen vollkommen verweichlicht seien, anstatt dass ihre Brust breit würde und fest und ihr Blut rein und gesund. Engelhardt hatte Diefenbachs Wortspiele nicht gemocht, er hatte manches nicht gemocht bei Diefenbach, aber vielleicht war das seine Schuld, hatte er gedacht, und er war nicht wirklich bereit für das Paradies auf Erden, das der Maler versprach. Als er einmal mit ihm in der Stadt war, sah er, wie Kinder sich vor ihm niederknieten, weil sie dachten, er sei der Heiland. Die ersten Sterne standen am Himmel, die Engelhardt inzwischen längst kannte, der Bogen der Milchstraße, ein dünner Mondstreifen. Im Mondenglanze ruht das Meer, die Wogen murmeln (eise, Heine musste das sein, aber er wusste nicht, wie es weiterging, etwas mit schwerem Herzen und verlorenen Städten auf dem Meeresgrund, deren Läuten man hörte. Er würde es gerne nachschlagen, und irgendwo auf dem Strand lag Das Buch der Lieder, er erinnerte sich, es gerade erst in der Hand gehalten zu haben, kleines Format, eingerissener Einband, oft gelesen, als er noch zur Schule ging, aber es war zu dunkel, um einzelne Titel zu erkennen. Er müsste ein Feuer machen, doch dazu hätte er rechtzeitig Holz im Wald sammeln müssen. Das Treibholz hier auf dem Strand war zu feucht und würde nicht brennen. Engelhardt ging an der Wasserlinie entlang, um ein trockenes Stück zu finden. Die Temperatur war kaum gefallen, noch weit über zwanzig Grad, schätzte er, wärmer als die meisten Sommertage in Europa waren die Nächte auf seiner Insel. Ein stilles Glück war in der Luft, aber kein verwendbares Holz am Strand, nur ein paar Bambusstangen, der aufgeblähte Kadaver eines Fisches, anderthalb Meter lang, längst gefleddert von den Möwen. Eine handgroße Nautilus-Muschel, dünnes Porzellan aus dem Meer. Er ging an den Palmen vorbei, die an der kleinen Landspitze wuchsen. Es raschelte in den Kronen, das konnte kein Wind sein, die Luft war ganz ruhig, ein Tier, er wusste nicht welches, er hatte hier noch nie größere Tiere gesehen und drehte sich um. Seine Fußabdrücke leuchteten blaugrün im Sand, das ganze Meer leuchtete, vor allem weit draußen; die Gischt war nicht weiß, sondern gelblich und die ausrollende Welle zuerst hellgrün, dann etwas dunkler und schließlich zartblau. Jede weitere Welle mischte die Farben neu, verstärkte das Schimmern des Meeres, mal war ein leichtes Rot zu erkennen, das sich auflöste, über Rosa zu Gelb, mal plätscherte es violett. Wenn eine besonders große Welle sich brach und die Gischt hoch gegen den Horizont sprühte, vermischte das Leuchten des Wassers sich mit den Sternen am Himmel. Die Vermählung der Elemente hätte Diefenbach es genannt, wenn er das gemalt hätte, und so etwas hätte er gerne gemalt, immer ging es um die Einheit von allem, Himmel und Erde, Mensch und Natur, Seele und Gott, Leben und Tod.
    Nackt hatte Diefenbach sie damals zum Essen geführt, groß, knochig, farbübersät, ihre Kleider würden versorgt werden, sie sollten sich gar nicht drum kümmern, Anna ging an seiner Seite, die schwere

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