Das Paradies des August Engelhardt
Hand des Malers auf ihrer Schulter. Sie folgten ihm widerwillig, es war ein unangenehmes Gefühl, nackt zu gehen, einen Körper zu haben, vor allem einen so schmächtigen neben dem Walters. Haare wuchsen dem Freund sogar auf dem Rücken, ein borstiges Fell auf den Schulterblättern. Engelhardt richtete sich etwas auf, pumpte Luft in den Brustkorb, breit und fest sollte der sein, hatte der Maler gesagt. Er zuckte zusammen, als Anna sich zu ihm umdrehte, um seine Ohren machte er sich schon fast keine Gedanken mehr, die würden noch wochenlang glühen, ließ etwas Luft wieder ab, nicht auf ihre Brüste sehen, sondern ihr ins Gesicht, als würde sein Blick nicht gewaltsam nach unten gezogen. Ihr Mund war weich, und er hatte sie noch nie etwas sagen hören, vielleicht war sie stumm, aber das war ihm gleich, weich und ironisch, oder war das ein echtes Lächeln ganz ohne Zweideutigkeit? Ein leichter Druck von der Hand des Künstlers, und sie sah wieder nach vorne. Sie ging ganz natürlich und unbesorgt, wiegte sich beim Gehen in den Hüften, den Flur entlang, rechts und links ein Fries aus drei Dutzend Tafeln, ein endloser Zug aus nackten Kindern, Tieren, unbeschwerter, verspielter Natur im Schattenriss, doch seine eigene Nacktheit war nicht verspielt, sondern verkrampft. Es wurde nicht besser, als sie in den Speisesaal kamen. Nackte Mädchen mit Blumen im Haar tobten zwischen den Stühlen, nackte Frauen deckten den Tisch, nackte Männer richteten die Brotkörbe. Alle taten, als sei das normal, aber das war es nicht, nur die Theorie hörte sich einfach und überzeugend an.
Ein Stuhl wurde ihm zugewiesen, an der Seite ein Mann, der ihm als Fidus vorgestellt wurde, klein wie er, aber die Haare lang wie Diefenbach, sein Schüler, hieß es, und flüsternd: einer, der den Meister noch überflügeln werde. Walter saß weiter hinten im Raum, bei zwei älteren Frauen. Er sah unglücklich aus. Engelhardt war froh, sich wenigstens eine Serviette über sein Glied legen zu können. Auf den Tischen dampften Kartoffeln und Kohl, aber niemand schöpfte, denn Diefenbach war nicht da. Als er kam, schwiegen alle mit geneigten Köpfen. Er setzte sich, füllte den Teller, nahm Brot, brach es, reichte den Korb weiter. Rechts von Diefenbach saß eine Dreißigjährige, verbittert, hängende Mundwinkel, Schultern und Brüste, links Anna, aufrecht, eine unsichtbare Krone im Haar, eine Königin, die die Huldigungen der Untertanen empfängt; sogar der Meister sah klein aus neben ihr.
Als der anfing, aßen auch die anderen, schweigend, selbst die Kinder, eingeschüchtert durch die Stille im Raum. Engelhardtvermisste etwas Anständiges, einen Braten oder wenigstens Würste, aber er wagte nicht, danach zu fragen, denn jetzt sprach Diefenbach: »In meinem Ringen nach der Lösung der Frage, wie der Mensch, das vernunftbegabte höchste Lebewesen auf Erden, zum grausamsten Vernichter des Lebens werden konnte, bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass der Menschenmord nur die natürliche Folge des Tiermordes ist. Das Morden der Tiere und das Verzehren von deren Leichen, von Tierfetzen, stumpft alle feineren Gefühle und Sinne ab, erzeugt unbezähmbare Leidenschaften, Einzelreichtum und Massenelend und allgemeine Verrohung und ist vom Kannibalismus nur dem Grade nach verschieden.« Amen, hätte Engelhardt beinahe gesagt, jahrzehntelange Übung, aber er beherrschte sich rechtzeitig und war froh, nicht nach Würsten gefragt zu haben. Jetzt war das Schweigen beendet, sein Nachbar beugte sich zu ihm und flüsterte ihm zu, dass der Meister gegen die Ehe im Allgemeinen und Monogamie im Besonderen sei, und die Frau rechts eine seiner Ehefrauen und die links ein alkoholkrankes Modell sei, geraue mal siebzehn Jahre alt, die Diefenbach im Wortsinne auf der Straße gefunden und die Abführung in die Ausnüchterungszelle verhindert hätte, um an ihr zu beweisen, dass nur die entartete Gesellschaft sie krank gemacht habe und sie durch ein natürliches Leben zwangsläufig gesunden würde, wobei naturgemäß auch die Verpflichtung zum geschlechtlichen Verkehr gehöre, dessen sie der Meister würdigte.
Engelhardt ging am leuchtenden Meer zu seinen Büchern zurück, er hatte Durst und war ungeduldig, ohne zu wissen, was er erwartete. Er trat blaugrüne Fußspuren in den Sand, manchmal blitzte es im Meer, als ob es darin gewittert, doch es blieb still.
Der verweste Fisch klagte ihn an. Er fühlte sich schuldig, weil er lebte, dabei gab es keine Schuld, das sagte er sich,
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