Das Paradies des August Engelhardt
gewarnt sein müssen, als der Bischof ihn gefragt hatte, ob er sich das zutraue, und dass schon einige gescheitert seien und tot oder geflüchtet, doch er war jung gewesen und stark im Glauben und wollte nicht träge sein in dem, was er tat, sondern brennend im Geist, fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal und beharrlich in seinem Gebet, doch vor zwei Tagen war Schwester Ludmilla aus dem Allgäu gestorben, nicht ganz vierzig Jahre alt, ausdauernde Büglerin, gut zu Kindern, weniger zu ihm. Er hatte an ihrem Bett gesessen, als das Fieber stieg, die Haut gelb wurde, der Bauch immer weiter anschwoll, die Leber vermutlich oder die Milz, und sie sich die Seele aus dem Leib gekotzt hatte, das war sein Eindruck gewesen, und er hatte den Herrn dafür um Verzeihung gebeten, aber wenn das letzte Stückchen Brot und der letzte Schluck Wasser schon lange erbrochen sind und auch die Galle, was bleibt noch in einem, was unbedingt nach draußen muss, wenn es einen über Stunden und Stunden würgt und mit dem letzten Würgen auch das Herz stehen bleibt? Er hatte sie sofort beerdigen müssen, denn es war zu heiß, um sie aufzubahren, schon als er sie wusch, kamen die Fliegen. Sie war eine harte Frau gewesen, ihr Glaube einfach und ohne Zweifel. All ihre Sorgen hatte sie auf Christus geworfen und kein Verständnis für einen Grübler wie ihn. Man musste recht beten und recht arbeiten. Alles andere ergab sich dann von selber. Wer an Christus glaubt, wird leben, obgleich er stirbt, waren ihre letzten Worte. Schlimme Stunden standen ihr da noch bevor.
Er hatte Speisestärke in kaltem Wasser glatt gerührt, kochendes Wasser dazugegeben, die Mischung in den Zuber geschüttet, ihre Haube darin gewaschen und sie anschließend gebügelt. Es war nicht einfach gewesen, sie wieder anzuziehen.
Der Mensch lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht, so stand es geschrieben, aber wo lag darin der Trost? Er ließ die rechte Hand durchs Wasser gleiten. Es war angenehm frisch.
Diesmal kletterte der Kokosesser nicht auf einer Palme herum, sondern saß in den Grundmauern eines Hauses auf dem Strand und las, nackt zwar, aber immerhin, er war auf einem guten Weg, falls er das Richtige las, hoffentlich nicht Rousseau, der hatte ganze Generationen vergiftet, er selber wäre fast sein Opfer geworden, doch er war jung gewesen, das war seine Entschuldigung, und hatte sich nach einer Gesellschaft gesehnt, in der die Menschen einander nicht hassen, und den Glauben noch nicht für sich entdeckt. Erst als er näher kam, erkannte er das Baumaterial des Hauses, das auf dem Strand entstand. Es waren Bücher, mehr als er gesehen hatte, seit er das Seminar verlassen hatte, ein Haus aus Büchern, große Folianten bildeten die Basis, darüber schwere Wörterbücher, Lexika, eine Schicht Quartos, darauf Oktavformate, Dramen, Romane, Biographien, Philosophie, Geschichte, Biologie, ganz oben Lyrikbändchen und auf denen, festgehalten von ein paar Muscheln, Autographen, er erkannte die ruhige, geschwungene Schrift Schillers und Kants Signatur, der den Querstrich des letzten Buchstabens immer so weit nach vorne verlängerte, dass es aussah, als streiche er seinen eigenen Namen wieder durch. Der Eingang wurde eingerahmt von den naturwissenschaftlichen Bänden der Sophienausgabe, die hätte Pater Joseph auch gerne gehabt, und Engelhardt saß auf einem Faksimiledruck von Shakespeares First Folio. »Was versprechen Sie sich von Ihrem Aufenthalt«, fragte ihn Engelhardt, legte sich ein Tuch um, aber er lachte bei seiner Frage, es war ihm nicht ernst, dafür zeigte er ihm den Einband des Buches, das er gerade las, Herodots Historien. »Wenn ich nur ein einziges Buch hätte mitnehmen dürfen, dann wäre es dieses gewesen, obwohl mein Griechisch zu schlecht ist dafür.« Er stand auf, köpfte eine Nuss und bot sie ihm an.
»Schöne Wohnung«, sagte Pater Joseph und trank.
»Ich wollte wissen, wie es ist, wenn man ganz und gar in Büchern zu Hause ist.«
»Sie haben Angst, alleine zu sein, deswegen die Bücher. Warum sind Sie hier? Lesen könnten Sie auch in Berlin.« Noch würde er ihn vielleicht überreden können, auch wenn er das nicht wirklich wollte, Schwester Ludmilla war tot. Außer ihr blieb nur Steffen Bach, der Schuberthörer auf der Nachbarinsel, sonst kein Weißer, keine Christen, nur ein paar Getaufte, aber er zweifelte immer, dass die Taufe tief genug ging, zu viele hatten die Sakramente
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