Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
Vom Netzwerk:
viel zu stark, er würde sich freuen, und vielen Dank für das Buch, Goethes Farbenlehre interessiere ihn schon seit Langem, und dass er dringend an die Wände der Hütte denken müsse, von einem Tag auf den anderen könne der Regen kommen, nur ein kurzer Guss jeden Tag, und kälter würde es auch kaum, höchstens ein oder zwei Grad, aber um die Bücher wäre es schade.

Am nächsten Tag sammelte Engelhardt Palmwedel für die Wände der Hütte. Immer wieder dachte er an Diefenbach, verdrängte den Gedanken, doch das Bild des Malers schob sich immer wieder nach vorne. Der nackte Körper lügt nicht, hatte Diefenbach gesagt, in der Hand Palette und Pinsel, den Kopf leicht zur Seite geneigt, wie immer, wenn ihm etwas besonders wichtig war, allerdings sagte er fast nur wichtige Sachen, der Nacken war schon verkrümmt davon. Es musste der zweite oder dritte Tag gewesen sein, denn Engelhardt erinnerte sich daran, dass ihn der Bart gekratzt hatte. Das Rasiermesser hatte er wegwerfen müssen, die Natur will den Mann behaart, hatte der Maler gesagt, weg damit und mit allem anderen, was uns beschränkt, wir werden uns die Haare wachsen lassen, bis sie die Erde berühren und uns umwallen wie ein Fürstenmantel. Vor ihm ein sechsjähriger Junge, Geige unter dem Kinn, strich über die Saiten, dazu ein paar Tanzschritte, deren Schwung der Maler auf die Leinwand übertrug, so hat schon Tacitus uns beschrieben, nackt, stark und bärtig, alles andere ist verweichlicht, auch wenn die Gesellschaft um uns hemm das nicht einsehen will. Die Geige quietschte, doch dem Jungen war das so egal wie dem Maler, dem ging es um das Bild, das er sah, das versunkene Kind, nicht an Beifall denkend, nicht an die Beobachter. Du musst werden wie ein Kind, sagte der Maler, wir alle müssen das, sonst werden wir nie den Himmel erreichen. Es roch nach Farbe und Terpentin. Engelhardt hatte sich über das Kinn gestrichen. Es fühlte sich ungewohnt an. Der Junge tanzte und kreiselte um sich selbst. Geige spielen konnte er nicht.
    Er verließ den Maler, um Anna zu suchen, nicht so, dass es einer merken könnte, eher um sie zufällig zu finden auf den Wiesen ringsum. Die Ohren glühten schon weniger, wenn er sie sah, hoffte er zumindest, oder er hatte sich daran gewöhnt. Noch immer hatte er kaum mit ihr gesprochen, beobachtete sie aus der Ferne, schrieb in das Buch:
     
    Anna lesend auf dem Bauch am Bach, die Unterschenkel angewinkelt. Die Sonne bescheint ihre Fußsohlen. Ein Mückenschwarm steht in der Luft, doch das ignoriert sie. Sie ist nicht einverstanden mit dem, was sie liest, sondern runzelt die Stirn und schüttelt langsam den Kopf. Sie ist schön.
     
    Anna backt Brot. Die Sonne scheint durch das Küchenfenster. Bis zu den Ellenbogen hängt sie in der Teigschüssel. Mehlstaub auf dem ganzen Körper. Sie bemerkt nicht, dass ich in der Tür stehe.
     
    Sprung in das kalte Wasser des Bachs bei Sonnenaufgang. Anna lässt sich als Erste in die Gumpe fallen und bleibt lange drin. Als sie rauskommt, stehen ihre Brüste waagrecht und ich springe ins Wasser, denn der nackte Körper lügt nicht, aber jetzt würde ich lieber lügen. Mein Zehen sind blau, als ich raussteige, und alle anderen sind längst beim Frühstück. Diefenbach lobt meine Ausdauer .
     
    Anna, nackt, sitzt inmitten einer Schar nackter Kinder und singt ihnen ein Lied.
     
    Anna draußen bei den Pappeln. Fidus malt sie, vielleicht ein Verstoß gegen den Willen des Meisters, etwas Verschworenes haben die beiden, das mich kränkt. Ich kann nicht malen. Fidus erklärt mir, dass sie den ebenmäßigen Wuchs, die Geschmeidigkeit und Biegsamkeit der Wilden habe, auch ihre natürliche Beweglichkeit, dass ihrem Körper der Rhythmus der unverdorbenen Naturmenschen eingeboren ist. Ihr Bild auf der Leinwand verliert jede Individualität, er malt die reine Essenz ihres Wesens, kein Abbild, Anna als Lichtbringerin.
     
    Er schüttelte den Kopf, als er daran dachte. Der Kern seiner Existenz würde berührt werden, hatte der Maler gesagt, berührt und verwandelt, und dass er diese Verwandlung schreibend verfolgen müsse, und er schrieb, Seite um Seite, keinen Satz, der nicht von Anna sprach, kein Wort, das nicht um sie kreiste, es wurde ein Annabuch, eine Annabibel, er würde jetzt gerne einmal wieder darin lesen, aber er hatte seine Aufzeichnungen nicht mehr. Der Maler hatte sie eingefordert, nach einer Woche, und alle anderen Tagebücher auch, so wie er jeden eingehenden und abgehenden Brief kontrollierte.

Weitere Kostenlose Bücher