Das Paradies des August Engelhardt
in die richtige Position brachte und kurz darüber, strich mit einer verkrüppelten Hand, an der Mittelfinger und Ringfinger fehlten. Die innigste Verbindung von Mensch und Tier, erfüllt von einer stillen Zärtlichkeit und einem Verständnis für die Bedürfnisse der Seele der Wesen, die mit uns die Erde teilen. Das würde er Fidus schreiben. Der könnte das malen, ein Bild für die Vegetarische Warte. Wer das sah, würde nie wieder Schweinefleisch essen. Der Freund war in der kalten Welt geblieben, trotz der Haftstrafe, die er verbüßt hatte, weil auch er nackt gegangen war, ein halbes Jahr Gefängnis, aber nicht wegen Unsittlichkeit wie Engelhardt, immerhin, sondern groben Unfugs, kein großer Trost allerdings, der Trost war höchstens, dass er vor Gericht zu seinen Anschauungen stand und diesen ehrenvollen Namen erhielt, Fidus der Treue, was besser war als Hugo Höppener zu heißen. Kleidung sei eine künstliche, gestohlene, fremde Haut, hatte Fidus dem Richter erklärt. Ein tragbarer Sarg des Lebens, der einen lebendig begrabe. Der Mensch könne nichts besser machen als sein Schöpfer. Wenn dieser ihm also keine Kleider in die Wiege gebe, dann brauche der Mensch sie auch nicht, doch den Richter konnte das nicht überzeugen, man könne nicht einfach unbekümmert um die Kultur der Menschen und ob es jemand sieht oder nicht sich nackt seiner Mitwelt produzieren, und dass derlei von grober Sittlichkeit zeugende Exzesse keinesfalls geduldet werden dürfen. Fidus ging ins Gefängnis und malte zur Strafe das Lichtgebet. Engelhardt stand ihm dafür Modell auf dem nackten Fels unter freiem Himmel, reckte sich nach oben, noch höher, rief Fidus hinter dem Skizzenblock hervor, so ist es gut, Fels und Himmel und dazwischen die Verbindung zwischen beiden: Engelhardt als Sinnbild des Menschen, schlank, jung und drahtig, nicht Mann und nicht Frau, das ist großartig, rief Fidus, alle Muskeln anspannen und nicht mehr bewegen, nicht einmal atmen, aber es ist zu früh, das zu veröffentlichen, ich arbeite daran, du wirst sehen, das wird mein größtes Bild und sich einbrennen.
Auch dieses Bild würde sich einbrennen: Nackte Frau unter Palmen, ein Ferkel nährend.
Sie ignorierte ihn, seinen kurzen Gruß, den grünen Zweig, den er in den Händen hielt als Zeichen des Friedens, das hatte der Pater ihm geraten, einen grünen Zweig wie zu Palmsonntag, das Zeichen der Eingeborenen, dass man in harmloser Absicht kam, aber bei dem Jungen hatte es auch nicht funktioniert. Das Ferkel schmatzte befriedigt und war fast eingeschlafen, als die Frau mit ihrer Krüppelhand ein Stück geschärften Bambus aufhob, mit der anderen Hand den Kopf des Ferkels festhielt, mit den Fingern die Lider auseinanderzog und das Bambusmesser tief in den Augapfel stieß. Das Ferkel quiekte schrill und verzweifelt. Blutiges Gallert lief aus der Augenhöhle, Krämpfe schüttelten den rosa Körper, Schaum lief aus dem Mund. Ihr Ellenbogen klemmte den Kopf des Schweins ein, eine kurze Bewegung mit der Hand, das Messer zerschnitt das zweite Auge, das Ferkel stöhnte grell und wie ein Kind, sackte zusammen, das kleine Gesicht verschmiert von Milch, Blut und Tränen. Die Frau legte das geblendete Tier vorsichtig in einen geflochtenen Korb und strich noch einmal über den Kopf, eine liebende Mutter, und ging in die Hütte. Engelhardt drehte um. Was er gesehen hatte, war eine Folge der Begegnung der Wilden mit der Zivilisation. Sie waren Geiseln geworden der Missionare und Pflanzer, Märtyrer der Kolonialverwaltung. Die reinen Sonnenkinder lebten im Einklang mit der Natur und würden nie die brüderlichen Wesen quälen, niemals. Das hatte er immer wieder gelesen. Die Eingeborenen hatten eine edle Haltung, große körperliche Gewandtheit und den Ausdruck der stillen, inneren Sammlung. Davon erzählten die Bücher, schon Herodots Bericht über die Äthiopier, die stolz waren, gesund und 120 Jahre alt wurden, weil sie die Gesetze der Natur respektierten, und er ging zurück, um das noch einmal nachzulesen.
Pater Joseph paddelte langsamer als sonst, achtsamer, als könnte eine unvorsichtige Bewegung das Kanu zum Kentern bringen. Der Lärm der Missionsstation hing noch über dem Wasser, Lieder, Kindergeschrei, das Knattern der Nähmaschinen, Axthiebe, eine Säge. Er drehte sich um und sah auf die Schule und die Werkstätten, ein winziger Fleck der Barmherzigkeit inmitten der Wildnis. Ein Licht scheint in der Finsternis, doch die Finsternis hat’s nicht begriffen. Er hätte
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