Das Paradies des August Engelhardt
empfangen und waren doch wieder im Busch verschwunden. Hier hackten sie den Mädchen Finger ab und warfen sie bei der Leichenverbrennung ins Feuer zur Besänftigung des Totengeistes. Was vermochten in den Vorstellungen der Wilden da ein paar Tropfen Wasser?
»Was sollte ich da? Was sind schon Städte? Nichts als Felsengrabanlagen. Nur Friedhöfe des Glücks und des Lebens gegen mein palmengeschmücktes, ozeanumbraustes, sonnendurchglühtes Kabakon. Wo sonst könnte ich nackt gehen? So glücklich sein wie hier? So einfach sein? Den Moment genießen? Sonne atmen? Freiheit trinken?«
»Frei sind die Wilden, und gerade das knechtet sie. Wir geben ihnen eine Aufgabe, und frei werden sie in der Pflicht.«
»Ihr ertragt nicht das Nichtstun, weil ihr nicht erkennt, welche Qualität darin liegt. Ihr habt Angst, weil ihr unkeusche Gedanken vermutet.«
Pater Joseph widersprach und argumentierte mit der Zügelung der Flatterhaftigkeit des Geistes durch geregelte Beschäftigung und der Überwindung von Lässigkeit und Trägheit. Ohne Arbeit sei das Christentum seicht und verseucht, nur eine Politur und Firnis des Holzes, das innen vom Wurm zerfressen werde. Müßigkeit sei aller… »Falsch. Nicht aller Laster Anfang, sondern der Anfang des Denkens. Ihr habt Angst vor der Freiheit.«
»Ich habe keine Angst vor der Freiheit, ich bin ein Mensch, ich habe Angst vor dem Tod. Gestern ist meine Nonne gestorben. Sie war eine einfache Frau und hat zeit ihres Lebens nichts gelesen außer dem Katechismus. Der hat alle ihre Fragen beantwortet. Sie hasste die Sonne, aber sie hatte keine Angst davor, zu sterben.«
»Sie beneiden sie, nicht darum, dass sie tot ist, aber um die Antworten und ihren Mut angesichts des Todes.«
»Mir würden alle diese Bücher nicht reichen, um eine Antwort zu finden.«
»Wenn sie mir reichen würden, wäre ich nicht hier. Hier bin ich, weil ich jenseits der Bücher gelangen will. Es ist ein Experiment.«
»Bald kommt die Regenzeit. Sie brauchen eine Hütte für die Bücher, sonst sind Sie jenseits davon, noch bevor Sie reif dafür sind.«
Sie brauchten den Rest des Tages für deren Bau. Engelhardt hatte noch eine größere Axt und schärfte sie mit dem Wetzstahl. Gemeinsam fällten sie eine Palme. Das Holz war fasrig und immer wieder blieb die Schneide hängen. Aus dem Stamm machten sie Stützpfeiler für das Dach und versenkten sie im Boden. Als Dachsparren verwendeten sie armdicke Bambusstangen und flochten mehrere Schichten Palmwedel hinein. Aus den Brettern der Bücherkisten machten sie Regale und stellten sie an den Seiten der Hütte auf.
Die Wände waren noch offen, aber er hatte noch Zeit und würde auch hierfür Matten aus Palmzweigen flechten. Hinterher saßen sie schweigend davor, aßen Papayas und Nüsse, die Hände wund von den Axtschlägen, glücklich von der gemeinsamen Arbeit, doch lieber ein Haus bauen als lesen, hätte Pater Joseph beinahe gesagt, aber er beherrschte sich, der Bau der Hütte war kein Argument, man durfte die Ebenen nicht verwechseln, stattdessen genoss er die Ruhe auf der Insel, die wünschte er sich auch in seiner Mission, einmal einen Tag ohne Choräle und ohne Glockenläuten, nur als Engelhardt aufstand und vorschlug zu baden, bekam er Angst, denn der andere ließ sein Lendentuch fallen, stand nackt vor ihm, hager und rotbraun am ganzen Körper Er fürchtete, dass er ein Sodomit wäre und dass er durch seinen Aufenthalt hier Anlass gegeben hatte zu Missverständnissen, doch Engelhardt drehte sich um, ging ans Wasser und schwamm mit ruhigen und kräftigen Zügen ins offene Meer. Pater Joseph überlegte kurz und zog sich ebenfalls aus, Schwester Ludmilla möge ihm das verzeihen, und stieg ins Wasser, zum ersten Mal in seinem Leben ohne Badeanzug, zuerst ein seltsames Gefühl, das Wasser am ganzen Körper zu spüren, dann aber ganz und gar paradiesisch, das war der einzige Ausdruck, der ihm zu passen schien, paradiesisch, und er verstand Engelhardt plötzlich, auch wenn er das nicht wollte, aber das Gefühl war zu überzeugend, ein Zustand vor aller Sünde. Er schwamm lange und wollte nicht aus dem Wasser, auch als der andere schon eine Weile am Strand saß und noch eine Nuss köpfte. Er beneidete ihn um seine Nacktheit, zog sich dennoch an und verabschiedete sich. Engelhardt möge ihn auch einmal besuchen, sagte er, als er ins Boot stieg, aber unbedingt um die Insel herumfahren und nicht den direkten Weg von der Nordseite nehmen, die Strömung sei zu dieser Jahreszeit
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