Das Paradies des August Engelhardt
los von deinen Sünden.« Das war zu schnell gesagt, ein Reflex, jahrzehntelang eingeübt, doch Engelhardt glaubte nicht, das war der falsche Satz für ihn. Pater Joseph biss sich auf die Lippen.
»Und das gilt? Auch ohne den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist.« Ein wenig spöttisch, so kannte er Engelhardt, aber nicht nur, gleichzeitig voller Hoffnung. »Es gilt. Aber wenn es dich beruhigt: Danket dem Herrn, denn er ist gütig.«
»Sein Erbarmen währt ewig.«
»Der Herr hat dir die Sünden vergeben. Gehe hin in Frieden.«
»Kein Reuegebet?«
»Nicht notwendig.«
»Amen.«
Kurze Stille. Wind. Wellen. Möwen. Er setzte sich neben Engelhardt.
»Jetzt eine Runde Schwimmen?«
»Ich danke Ihnen, Pater Joseph. Ich glaube nicht an Gott, aber es hat trotzdem geholfen. Wie Homöopathie. Man muss nicht daran glauben.«
»Gott glaubt an Sie, Herr Engelhardt, daraufkommt es an. Er ist nicht so kleinmütig, wie Sie es sind, er ist kein Zweifler, er glaubt an Sie mit ganzem Herzen. Deswegen hilft Ihnen die Beichte.«
»Und er vergibt wirklich meine Sünden?«
»Die Sünde ist nicht all das, was wir falsch gemacht haben. Nicht das, von dem wir wünschen, es möge niemals passiert sein, das wäre zu einfach. Die Sünde ist ein Schaden an unserer eigenen Seele. Zwei Wurzeln hat sie, die grundlegende Verzweiflung und die grundlegende Überheblichkeit. Frei sein von Sünde heißt, diese zwei Übel zu erkennen und sich immer wieder aufs Neue zu lösen von Selbstüberschätzung und der Verzweiflung an sich selber. Aber jetzt möchte ich schwimmen. Nur hier kann ich nackt schwimmen, und ich vermisse es, wenn ich wieder drüben bei meiner Kirche bin. Anschließend lassen Sie uns einen Tisch schreinern. Ihre Stühle sehen ja ganz gut aus, aber Sie brauchen einen richtigen Tisch, erst recht, wenn in ein paar Tagen Ihr Gast kommt. Außerdem habe ich Lust, eine Axt zu halten. Und hinterher lassen Sie uns etwas essen.« Und so geschah es.
Nachts lag erwach. Angst war um ihn wie ein Nebel. Er setzte sich auf und lauschte. Alles war weiter weg, als er es gewohnt war. Engelhardt berührte die Stangen des Bettes. Die groben Bretter des Bücherregals. Grub mit den Fingern im Sand der Hütte. Alles war da, alles war konkret und echt, nur er selber war unwirklich und fern, als hätte er sich nur auf die Insel geträumt und läge tatsächlich woanders, ein Fiebertraum, deswegen war es so heiß, in Wirklichkeit lag er im Jungborn. Anna war inzwischen gekommen. Walter lebte ein paar Hütten weiter. Fidus malte. Er selber lag im Fieber und hatte kalte Lehmwickel um die Waden. Der Arzt kam fast stündlich und war sehr zufrieden, Ihr Körper verbrennt die letzten Reste der Unnatur, die noch in Ihnen sind, seien Sie froh darüber, je höher das Fieber, desto besser für Sie. Engelhardt hörte die Stimme durch ein Daunenkissen. Sie werden gesund werden, das verspreche ich Ihnen, und das wird ein kleiner Schritt sein zu einer besseren Welt, denn nicht der Einzelne ist krank, sondern die ganze Gesellschaft. Keine Naturheilkunde brauchen wir daher, sondern eine Kulturheilkunde, dieses ganze deutsche Volk ist siech bis ins Mark und wird noch lange brauchen, um zu gesunden. Er trank den Kokossaft, den Anna ihm reichte, ihre kühle Hand unter seinem Nacken, leise Lieder, Annalieder, die würden für immer bleiben. Er sackte in einen heißen Schlaf, der Schweiß roch nach Brennnesseln, er träumte sich fort und war längst wieder gelandet.
Max Lützow, dreiundzwanzig Jahre alt, Fruchtesser, Zivilisationsflüchtling, ehemaliger Dirigent, umjubelter Pianist und Violinspieler, frisch kuriert von Alkohol, Kokain und von Frauen, stand in dünner Hose und leichter Joppe barfuß auf dem Strand, schloss die Augen und lauschte. Weit über ihm sang der Himmel, die Sonne tönte weich und warm, die Luft vibrierte, und allem schlug der Wind in den Palmwedeln den Dreivierteltakt, leicht und beschwingt. Vom Wald her Triolen in schneller Folge C-E-G, die Umkehrung dazu, dann eine Improvisation über den Dreiklang. Weit entfernt das Tuckern des Dampfschiffes, das ihn gebracht hatte, letztes Überbleibsel des Lärms der Zivilisation, der ihn fast das Leben gekostet hatte, vor ein paar Wochen in Italien: das Fauchen der Eisenbahn auf den nahen Gleisen, das Klingeln der Radfahrer, dazu das Geschrei der Jungs, die gegenüber seinem Zimmer den Ball an die Wand droschen, immer wieder und nie im Takt, die Alte, die die quietschende Wäschekurbel drehte, F-H, die
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