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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
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des Zahnes die Kopfhaut aufschnitt. Ein Ton wie zerreißendes Seidenpapier. Der Junge knotete ein paar Fäden in das Haar von Max und zog daran. Haut klappte vom Schädel, schmatzte, hing rot über die Ohren, skalpiert wie Sam Hawkens aus Winnetou, der Lehrer Old Shatterhands, wenn ich mich nicht irre, hihi-hihi, das sagte er auf jeder zweiten Seite, Max stöhnte, der Alte sprach ein paar Worte, es klang beruhigend, die Iris von Max drehte nach oben und verschwand, die Seele des Menschen ein weißes und fremdes Nichts. Die Nuss hatte dem Freund den Schädel zerschlagen, den zarten Knochen, eine brüchige Schale, viel Kraft hatte das nicht gekostet, im Gegenteil, viel zu schnell brachen die Schädel der Menschen, ganz anders die der Haie, bei denen brauchte es Wut und Angst, bei den Menschen genügte auch eine kleine Enttäuschung. Weiße Splitter steckten im roten Brei. Der Zauberer nickte zu einem der anderen Jungen, der reichte ihm einen geschliffenen Obsidian, mit dem er Knochenstücke aus dem Schädel fischte. Er nahm sie mit dem Mund vorsichtig vom Steinmesser und spuckte sie in den Sand. Das Loch im Schädel war groß wie eine Kinderhand. Darunter das Hirn, grau und faltig, das kannte Engelhardt nur aus seiner Kindheit, panierte Lammhirne mit Speck, Sonntagsessen, drei- oder viermal im Jahr, damals hatte ihm das noch geschmeckt, nicht anders das Hirn von Max, nur ohne Panade, die Lappen, die der Alte anhob, um Splitter zu suchen, sehr systematisch, darin steckte Max, wenn man nur wüsste, wo die Musik sitzt, könnte man sie herausschneiden, und Max würde für immer auf der Insel bleiben und glücklich sein, aber er konnte den Alten nicht fragen, der jetzt befriedigt aussah und den Obsidian zur Seite legte, eine Muschel nahm und die gesplitterten Knochenränder schliff, den Kopf des Kranken zur Seite gedreht, damit kein Knochenmehl in den Schädel staubte. Mit Kokoswasser wusch er die Wunde, schloss das Loch mit einem Bananenblatt, legte die Hautlappen darüber, nähte sie mit dem Faden zusammen und rasierte die Haare. Wieder taufte er den Schädel mit Kokoswasser. Einer der Jungen hatte in der Zwischenzeit einen Helm aus Rotangbast geflochten. Der Zauberer setzte ihn Max über den Schädel. Wieder sangen sie, der Alte blies Zaubermittel in die Luft. Dann ließen sie ihn allein. Meer rauschte, Sonne sang, Max stöhnte, das Herz war aus dem Rhythmus geraten, Fünfvierteltakt, die Iris schwamm wieder ein wenig nach unten, ein blauer Halbmond im Augenweiß.

Engelhardt hatte Max ein Lager am Strand bereitet, drehte seinen Körper jede halbe Stunde ein wenig weiter, ein Uhrzeiger im weißen Sand, damit die Sonne ihn immer beschien. Sie allein würde ihn heilen, sie und die Kokosnuss. So wie sie dafür gesorgt hatte, dass er auf der Insel blieb und nicht zurückkehren konnte in das Reich der Nacht, der Kälte, des Bösen. Wie man aus Nüssen Kerzen und Seifen macht, die den Menschen äußerlich erleuchten und reinigen, macht die Kokosnuss ihn auch innen hell und ganz rein.
    Er badete das frisch operierte Haupt in Kokoswasser, tröpfelte es auf die gesprungenen Lippen von Max, flößte ihm kleine Schlucke ein, wachte tagsüber bei ihm, las ihm vor, von Kepler die Harmonia mundi, in der er über Planeten schreibt, als sei es Musik, das musste Max gefallen. Tief in ihm war vielleicht einer, der es verstand. Engelhardt wachte nachts, legte ihm die Hand auf die Stirn, wenn er stöhnte, verabreichte den bitteren Tee, den Kabua jeden Tag in einem hohlen Kürbis brachte, massierte die Hände, die sich langsam in sich verkrallten, damit würde Max nie wieder Klavier spielen können, nie wieder Geige, mit solchen Händen könnte er bleiben, sie würden wahre Jünger der Sonne sein, niemandem Untertan und für immer frei. Kabua blieb immer öfter bei ihm zum Limlimbu. Gemeinsam schwiegen sie über den Hai.
    Auch Pater Joseph kam häufig. Er betete für Max und lud Engelhardt dazu ein. Er kniete mit dem Missionar im Sand und betete leise mit ihm, gelobt seiest du Vater Helios, ein anderer Gott, ein älterer als der der Christen. Manchmal tauchte Max dabei auf, öffnete die Augen, sah sie an, ohne sie zu erkennen, trank ein wenig, hob die Hände, blickte verständnislos darauf, versank wieder, wo ihn keiner je würde erreichen können. Die Narbe am Schädel verheilte, was blieb, war ein Wulst, verdeckt durch die Haare, der Herr wird sich seiner annehmen, hatte Pater Joseph noch vor ein paar Tagen gebetet, auch ohne Beichte. Er

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