Das Paradies des August Engelhardt
in Europa bist? Sie werden dich einen Lügner nennen. Einen Heuchler. Bleibe hier. Hier bist du gesund geworden. Weißt du noch, wie du gekommen bist? Nervös und bleich, ein Opfer der Städte und des Lärms. Vollgepumpt mit Medikamenten. Alkohol. Kokain. Hier erst bist du rein geworden, und nur hier bleibst du rein. Kehrst du zurück, wird deine Seele wieder grau und verschleiert. Dein Gesicht wird wieder fahl. Die Lider zucken wieder. Alles beginnt wieder von vorne, und glaube nicht, ich nehme dich ein zweites Mal auf. Wenn du gehst, dann gehst du für immer. Nach Berlin kannst du immer kommen. Der Stadt bist du egal, aber nach Kabakon kommst du nur ein einziges Mal. Wenn du es verlässt, hast du es auf immer verloren.«
Tagelang keine Gespräche mehr. Lützow schlief unter den Palmen am Strand, Engelhardt in der Nähe der Hütte, Manchmal trafen sie sich beim Baden, zufällig, grüßten mit einem Nicken, ein paar kurze Worte, na Max, was macht die Musik? Gut, gut, und die Sonne, August? Der Komponist packte die Koffer. Noch einen Tag, bis das Dampfschiff kam. Schade, auf diese Weise zu gehen, anders wäre es ihm lieber gewesen, doch er war Künstler, er hatte nie Rücksicht genommen auf andere Menschen und würde nicht jetzt damit beginnen. Nicht wehmütig werden, hier hatte er gelernt, was es zu lernen gab, und dass er kein Mensch für die Einsamkeit war. Ein Stück dieser Insel würde er mit sich tragen, nichts geht für immer verloren, außerdem war da die Musik der Wilden, ihre seltsamen Harmonien, die hatte er notiert, versuchsweise, es war nicht einfach, denn er musste neue Vorzeichen erfinden, Plus und Doppelplus für die Drittel- und Vierteltöne, und vielleicht doch eine Oper, später, wenn er Ruhe fand, Kabakon oder der Sonnenorden, er würde sie Engelhardt widmen, zum Dank, dann würde der ihm verzeihen. Den Artikel in der Vegetarischen Warte könnte er vielleicht noch verhindern, er hatte einen entsprechenden Brief schon geschrieben, auch wenn der nicht schneller in Europa sein wird als er selber, es wurde Zeit, dass auch die Südsee ans Telegrafennetz angeschlossen wurde.
Engelhardt sah mitleidig auf den schlafenden Max. Trotz der Monate hier war noch zu viel Nacht und Tod in ihm und rief ihn zurück in die Gruft der Städte, dort wird er tote Speisen essen, tote Luft atmen, totes Licht auf seiner Haut spüren und zugrunde gehen an den Giften. Er wird wieder zu einer künstliche Puppe, gehalten von unsichtbaren Fäden, die an ihrem Sarg arbeitet. Er wird den warmen Sonnentempel vertauschen mit der kalten Erdhöhle. Statt ein Unsterblicher wird er ein Langsamsterblicher werden. Dabei hatte er gerade erst wieder einen Bericht für eine Vegetarierzeitung in Deutschland geschrieben und geschwärmt von den märchenhaften Meerbädern, dem prachtvollen Panorama, der hochtropischen Vegetation, die in Ceylon nicht schöner sei, dem berückenden Schauspiel des Meerleuchtens und dass man hier den ganzen Tag nackend gehen könne und die Hitze daher nie lästig werde.
Er hatte die Wahrheit gesagt, aber warum handelte er dann ganz anders? Wer gegen die Tropen ist, ist gegen die Sonne, gegen das Leben, gegen sein besseres Ich, ein Verräter, ein Judas, der an seinem eigenen Verrat sterben wird, elend und allein, das muss er verhindern, dass der Freund sich selber die Treue bricht und meineidig wird, er muss ihn retten und an die Insel binden, so sanft schläft er, so zart, so brüchig das Leben und der Schädel, nicht wie bei einem Hai mit seinen Knochen aus Stein, aber selbst die konnte man brechen, um wie viel mehr war der Mensch gefährdet, war es Max, die blonden Haare über dem Kopf. Engelhardt hielt die Nuss in der Hand, die er geerntet hat und in der Nacht trinken wird, sie war schwer, zwei oder drei Kilo, von seiner Lieblingspalme, die allein ihn schon fast ernähren könnte und Max dazu, der ein Verbrechen plante an seiner Insel. Vom Wald her kreischten Möwen und das mitten in der Nacht, das Meer leuchtete, am Himmel das Kreuz des Südens und eine schmale Sichel des Mondes. Im Schlaf stöhnte der Freund, als ob er wüsste, dass er ins Verderben geht, aber er geht offenen Auges, und das kann er nicht zulassen, er wird ihn retten, aber wie? Eine Möglichkeit gibt es immer. Irgendwann kommt man an den Punkt, von dem aus es kein Zurück mehr gibt. Das ist der Punkt, der erreicht werden muss, jetzt ist er da, sonst ist es zu spät, das Schiff wird morgen schon kommen, da wäre ein Weg, aber Weg ist nur
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