Das Paradies des August Engelhardt
des Meeres, dein Schiff ist gekentert mit all deinem Besitz, deiner Frau, deinen Kindern, vor Trauer hast du dich ins Nichtwissen gestürzt.
Er war frei, Max nach seinem Bilde zu formen. Er war sein Gott. Aber er wollte ein guter Gott sein und sagte ihm einfach die Wahrheit, Stück für Stück, immer so viel, dass Max es gerade begriff.
Zu viel Kokoswasser, er konnte es nicht mehr ertragen, diese trübe Brühe in brauner Schale, sicher sehr gesund, natürlich, die Muttermilch der Palmen, so nannte es Engelhardt, das edelste Geschenk der Natur an die Menschen, nur damit solle man Kinder aufziehen, aber immer war es zu warm, immer ölig und schwer, immer schwammen kleine Fasern darin. Aus einem Bergbach würde er gerne trinken, klares Wasser, kalt und mit einem metallischen Geschmack. Aus einem Brunnen in Weinbergen, das Wasser leicht und weich vom Löss, aus einem See, der nach Algen schmeckt und dunkler Erde. Er hatte Sehnsucht nach Wein, herbem Chiana, frechem Muskateller, hochnäsigem Bordeaux und dem ganzen anderen Zeug, das sie einem servierten in den guten Restaurants der Metropolen, er hatte sich nie darum gekümmert, was er trank, er mochte die Wirkung, aber jetzt vermisste er auch den Geschmack. Er wollte wieder Menschen sehen, nicht nur den Pater und Engelhardt, auch wenn er ihm sein Leben verdankte, monatelang hatte der ihn gepflegt, selbstverständlich war er ihm dankbar, aber das reichte nicht, um hierzubleiben, Dankbarkeit war ein sehr verderbliches Gut und seine war schon verfault. Außerdem brauchte er Musik, echte Musik, die lebte, und nicht die Leichen auf ausgeleierten Platten; sein Klavier brauchte er, seine Violine, endlich wieder ein Streichkonzert spielen, gemeinsam mit Freunden, verbunden durch die Musik. Ein Orchester dirigieren und aus lauter Individuen einen gemeinsamen Körper schmieden. Er wollte wieder durch eine Straße gehen, Entscheidungen treffen, gehe ich rechts oder links?, und sehen, was daraus entsteht. Schönen Frauen folgen auf den Boulevards von Paris, sie überholen und sich entscheiden, ob das Gesicht hält, was der Hintern verspricht. Er brauchte wieder Möglichkeiten, ein Ziel, er brauchte wieder Zeit, die verging, das war das Schlimmste hier, dass die Zeit stand und er älter wurde, ohne dass etwas geschah, außer den ewiggleichen Bädern im ewiggleichen Meer, den Gesprächen über Bücher, dem Klettern auf Palmen, Spaziergängen am Strand, es war das ewige Glück hier, jeder Tag so schön, dass es die Hölle war. Außerdem hatte er die Musik des Himmels schon lange nicht mehr gehört, Zuhörer braucht es da, und nur deswegen war er hierhergekommen, ein Missverständnis, aber zu gehen war nicht einfach, denn Engelhardt würde das nicht dulden. Er konnte nicht abreisen, nur fliehen, doch das machte nichts, Besitz hatte er kaum, er würde ihn hier zurücklassen, nichts da, was er vermissen würde, nur würde die Flucht mühsam werden, noch immer war er schwach. Manchmal schmerzte der Schädel, vor allem wenn der Nordwestmonsun wehte, also brauchte er Hilfe. In ein paar Tagen fuhr ein Postschiff von Herbertshöhe ab, wenn er das erreichen könnte, wäre er in ein paar Monaten in Deutschland, er hatte schon mit Kabua gesprochen, er würde ihm ein Segelboot leihen und zwei Jungs, um überzusetzen, es war nicht weit, aber der Wind wehte zu stark, meinte der Häuptling, er solle lieber noch ein paar Wochen warten, aber der Wind war egal, wichtig war, dass er das Schiff erreichte. Er würde Engelhardt schreiben, später, wenn er zu Hause war, auch die Oper hatte er nicht vergessen, obwohl er inzwischen zweifelte, ob das die Musik der Zukunft war, einen Versuch war es trotzdem wert, sie war anders und neu, bloß wegkommen musste er erst einmal, das war das Wichtigste, und Engelhardt durfte nichts davon merken. Daher keine Abschiedsworte, sondern freundliche Diskussionen über die Rolle der Musik in Piatons Staat, sogar manche Tonleitern wollte Piaton verbieten lassen, weil sie die Seele in Aufruhr brachten, ein weiser Entschluss, meinte Engelhardt, diktatorisch fand Max es, ein letztes Bad im Meer, die weißen Korallen im Wasser, er würde sie vermissen und war doch froh, sie nie wieder zu sehen, Schwärme von Fischen, die Seekühe. Ein letztes Mal eine Palme besteigen, die letzte Papaya, die letzte Nacht, er schlief nicht, hörte noch einmal das Meer, den Wind, das Rauschen des Regens am Morgen, nickte Engelhardt kurz zu, ich gehe Musik sammeln bei unseren Wilden. Der Freund
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