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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
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wird bald gesund, sagte er jetzt, als Max wie im Schlaf vor sich hin brabbelte, leise sang auf Italienisch oder Spanisch, das konnten sie nicht wirklich erkennen, die Füße zuckten im Takt und die rechte Hand dirigierte ein fernes Orchester. »Wir sollten ihm Musik vorspielen«, schlug Pater Joseph vor. »Singen?«, fragte Engelhardt. »Oder Akkordeon spielen?«
    »Das Grammophon. Wir fragen Bach, ob er uns das ausleiht. Das ist zwar schwer, aber Herr Lützow ist noch lang nicht transportfähig.«
    Bach zögerte keine Sekunde, als Pater Joseph ihn fragte, sondern sortierte sofort einen Stapel Platten in eine Kiste, schraubte den Lautsprecher und die Kurbel vom Grammophon, kramte in einer Schublade des Schreibtischs nach Nadeln, trug alles zum Kanu des Paters, aber Vorsicht mit dem Tonarm und bloß kein Salzwasser aufs Holz, wir wickeln besser alles in Papier, außerdem komme ich mit, ich will sehen, welche Musik ihn am ehesten heilt. Pater Joseph ließ seiner Missionsstation von Bachs Hausdiener über die Trommelsprache ausrichten, dass er erst am kommenden Morgen zurückkehren werde, und gemeinsam ruderten sie nach Kabakon.
    Es war schon spät, als sie landeten. Engelhardt saß am Strand, den Kopf des Musikers in seinem Schoß. Der schlief wieder oder war in einer Ohnmacht versunken, die so tief war, als würde er nie wieder erwachen. Bach montierte das Grammophon auf dem Tisch, den Pater Joseph und Engelhardt geschreinert hatten. »Schubert?«, fragte er, »Schumann, Mozart, Bach oder Händel? Etwas Modernes? Debussy vielleicht oder Ravel, die neuen Franzosen sind sensationell anders. Was Leichtes? Johann Strauss, Vater oder Sohn, ich habe beide, oder Paul Lincke, da könnten wir sogar mitsingen, das macht die Berliner LuftLuftLuft, so mit ihrem holden DuftDuftDuft, wo nur selten was verpufftpufftpufft, ich habe seine Oper gleich dreimal gesehen, ist keine klassische Musik natürlich, aber vielleicht hilft es ihm doch, weil er in seinem Zustand einfache Melodien braucht und einen schmissigen Takt.« Engelhardt sah die Platten durch. »Stabat mater«, sagte er »davon hat er viel gesprochen. Pergolesi, den kenne ich gar nicht, sollen wir damit beginnen?«
    »Eigentlich der falsche Tag dafür«, sagte Pater Joseph. »Das singt man am Fest der Sieben Schmerzen Maria, aber das ist erst in ein paar Monaten und so lange können wir nicht warten. Außerdem passt der Text zu seinem Zustand. Es geht um Wunden und Leiden und die Überwindung des Todes.« Bach schraubte eine neue Nadel ein, »die Guten von Marschall, die verwende ich nur hier, die halten fünf oder sechs Platten lang, bei den anderen muss man schon nach einer Seite auswechseln, die sind zwar viel billiger, aber bei dem Porto hierher lohnen die Teuren sich trotzdem.« Er drehte die Kurbel, Töne schwebten über den Strand, eine Violine, und eine Stimme setzte ein, die so voller Leid war, dass sie die ganze Insel verwandelte, mit einem Mal war nichts mehr konkret, der Strand nicht der Strand und die Palme kein Baum, das Meer war nicht wirklich und nicht die Sonne, die im Westen ermattet vom Himmel fiel. Die Musik war kein Gebet, wie das Stück, das Max in der Kirche gespielt hatte, es war die Klage einer einsamen Frau, die vergebens auf Trost wartete. Jeder der Männer auf dem Strand fühlte sich schuldig und vermied es, den anderen anzusehen, nur über das Gesicht von Max ging ein Lächeln, selig wie das eines Kindes, und einen kurzen Moment lang beneideten sie ihn.
     
    Engelhardt blätterte durch einen Band mit griechischen Fabeln. Er hatte eine vage Ahnung, welche Geschichte er suchte, irgendwo im hinteren Teil des Buches, er hatte es lange nicht in den Händen gehalten, als ein Blatt aus den Seiten glitt, brüchig, die Ränder ausgefranst. Er kümmerte sich nicht darum, eine Fabel mit einem Frosch und einem Fuchs, irgendetwas in dieser Richtung war es. Er las einzelne Überschriften, hielt das Blatt in den Fingern, öffnete es nebenbei und sah sich und Anna.
     
    Sie waren mit Fidus auf der Lichtung im Jungborn gewesen, am Rand einige Buchen, er erinnerte sich an die jungen Blätter, fast waren sie essbar, als Fidus Halt gerufen hatte und Anna bat, sich hinzuknien, und Engelhardt, sich zu ihren Füßen zu legen, ein paar Momente nur, Striche in seinem Skizzenblock, jetzt schau in den Himmel. Schließe die Augen. Fidus’ Stimme war hoch wie die eines Mädchens, wenn er aufgeregt war, genau so. Nicht mehr bewegen, oder doch, winkle das Bein an, den rechten

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