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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
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schriftlich, der größte Komponist, der bis dahin gelebt hatte, und das Konsistorium der Kirche wollte ihm vorschreiben, wie er zu spielen habe, sogar die Anzahl der Töne. Schön melodisch sollten sie außerdem alle sein, bloß nichts Schräges, aber die Gemeinde war nicht verunsichert, das zeigen Berichte aus der Zeit, verunsichert war der Priester, der nicht mehr wusste, ob er das Vaterunser schon gesprochen hatte, die Gemeinde wusste: In der Musik war alles gesagt und durch die Musik, und deswegen gingen sie nach dem Orgelspiel und vermissten nichts.«
    »Als der Spielmann auf den Saiten spielte, kam des Herren Hand auf ihn«, sagte Engelhardt, Buch der Könige, fügte er mit vollem Mund hinzu, so habe er empfunden, was hier passiert sei, auf Lützow habe die Hand Gottes geruht, aber er verstehe natürlich, dass der Pater bitter sei, das sei sein gutes Recht. »Für einen Sonnenanbeter kennen Sie die Heilige Schrift ziemlich gut«, sagte Pater Joseph anerkennend. Engelhardt schien es besser zu gehen. Die Gegenwart des Musikers war heilsam, oder die Beichte, die er abgelegt hatte. Seither hatte er ihn nicht wieder so trübselig erlebt wie damals auf dem Strand, und jetzt legte er noch nach und zitierte Psalm 150, Singet dem Herrn ein neues Lied, Lobet ihn mit Posaunenschall, lobet ihn mit Psalter und Harfe! Lobet ihn mit Pauken und Reigen, lobet ihn mit Saitenspiel und Flöte! Lobet ihn mit hellen Zimbeln, lobet ihn mit lauten Zimbeln! Alles, was Odem hat, lobe den Herrn, wenn das so in der Bibel stehe, habe Lützow doch alles richtig gemacht. »Mir ist die Musik meines Namensvetters zu arithmetisch«, Bach schüttelte den Kopf, griff nach einem vierten Stück Osterzopf und bestrich ihn mit Honig. »Zu viel Mathematik und nicht genug Seele. Das ist keine Musik, sondern Architektur. Er baut ein Haus aus Tönen, aber er belebt es nicht.«
    »Das haben die Wilden anders empfunden«, sagte Engelhardt, »und ich auch. Ich hatte das Gefühl, mein Bruder spricht zu mir. Er ist schon lange tot, seitdem ich ein Kind war, und immer war er verschwunden, aber gerade habe ich seine Stimme gehört, das war tröstlich und erschreckend zugleich, und es lag an der Musik. Wenn ich Schubert höre, dann öffnet sich etwas in mir nach ganz innen, aber bei diesem Stück von Bach öffnete sich etwas den Himmeln entgegen und dem Gott, an den ich schon lang nicht mehr glaube.«
    »Wenn es Sie zurück in den Glauben führt, hat die Musik ihre Schuldigkeit schon getan und ich will nichts mehr sagen.«
    »Amen«, sagte Lützow, der glücklich war, endlich wieder ein Konzert vor Leuten zu spielen, wieder zu merken, dass ihre Ohren sich öffnen und ihre Seelen in einem gemeinsamen Takt schwingen, darum ging es, außerdem hatte er in einem der Zwischenspiele der Fuge wieder jene Musik gehört, um deretwillen er auf die Insel gekommen war, ein Singen der Himmel. Er hatte gleichzeitig gespielt und gelauscht, einige Takte lang ging das so, die Astralmusik, die er nie vernommen hatte in den letzten Monaten, obwohl er so viel Zeit mit Hören verbracht hatte, doch vielleicht war das der Fehler gewesen, nicht im Hören war die Musik des Himmels, sondern im Spielen, das beobachtete er in der nächsten Zeit immer genauer, verbrachte Tage auf der Insel des Missionars mit dem Akkordeon, in einer abgelegenen Bucht am Meer, wohin die Kinder ihm nicht folgen konnten. Stand unter einer Palme in Kabakon und dirigierte ein unsichtbares Orchester. Segelte sogar zweimal nach Herbertshöhe, um auf dem Klavier des Gouverneurs zu spielen, immer wieder Bach, das lag nahe nach dem Erlebnis an Ostern, aber es funktionierte nicht. »Weil ich nur für mich spiele«, sagte er zu Engelhardt nach wochenlangen Experimenten, »aber es geht nicht nur um mich, sondern um das Publikum, die Unio mystica mit dem Hörer, wenn alle verschmelzen in der Musik, dann erst erklingt die Astralmusik, ich habe einen Fehler gemacht, ich muss wieder vor Menschen spielen, in der Scala, im La Fenke, in Berlin.«
    »Aber die Insel? Die Sonne? Die Ruhe und der Frieden hier. Du hast geschrieben, dass du entzückt bist von Kabakon und es keinen Platz auf der Erde gibt, der alle Anforderungen deines Ideals so befriedigt. Dass du dir keine besseren Lebensbedingungen denken kannst. Dass jeder, der hierherkommt, auch hier bleiben wird, ich habe deinen Brief gelesen und irgendwann wird er vielleicht in der Vegetarischen Warte erscheinen und Zehntausende werden es lesen, wie wirkt es da, wenn du wieder

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