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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
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und er hörte, wie sie auf der Bühne vor Durst krepierten, aber das war weit weg, alles war weit, nur sein Durst war echt und nah und er musste aufwachen, ans Wasser und trinken, und es war der Paukenwirbel aus Haydns Es-Dur-Symphonie, der ihn nach oben riss, Tote weckte der auf, aber noch immer war er nirgends angelangt, noch immer in einem Zwischenreich, noch immer verwirrt, immer noch durstig und längst nicht an der Oberfläche, aber mit einem Mal war das egal, denn er hörte die Musik, wegen der er nach Kabakon gekommen war, das Universum selber vibrierte, es war Instrument und Klangraum und sang für ihn, und er erkannte, dass er die Musik immer schon hätte hören können, denn das Lied der Welt spielte von Anbeginn an, alles tönte und würde nie wieder verklingen, die Steine tönten, das Meer tönte, die Bäume, über ihm der Himmel tönte, tönend zog die Sonne ihre Bahn, die Sterne tönten, die fernen Galaxien, sein Körper tönte und seine Seele, die sich von ihm trennte und Ton wurde unter Tönen, Lied unter Liedern, Schallwelle und Klang.

Die Häuser von Herbertshöhe klammerten sich ohne viel Hoffnung an die Küste, ein Streifen Zivilisation zwischen Urwald und Meer, verurteilt zum Untergang, dachte Pater Joseph, während der Wind die Segel blähte, aber was heißt schon Zivilisation: ein Postamt, eine Krankenstation, Beamte im Fieber, Pflanzer, im Herzen Geld und Zwiebeln im Atem, ein paar Kirchenleute wie er, die mehr dem Gekreuzigten ähnelten als dem Auferstandenen. Die Boys rauchten im Boot und steuerten es mit einem leichten Zug an den Seilen oder einer Bewegung der Ruderpinne, die er kaum wahrnehmen konnte. Die Zivilisation würde scheitern wie das Christentum. Auf Neu-Pommern hatten sie vor ein paar Tagen Pater Rascher umgebracht, er war einer der Besten gewesen, wenn auch ein wenig zu streng, er hätte seine Diener nicht anketten sollen, wenn sie gegen das sechste Gebot verstießen, das hatte er ihm immer gesagt: keine Ketten, aber Pater Rascher war nicht zu überzeugen gewesen. Eine andere Sprache verstehen sie nicht, du bist zu lax mit ihnen, mein lieber Joseph, viel zu lax, das wird sich rächen, doch jetzt war Rascher tot und gefressen und alle Schwestern und Missionare der Station, die Monstranz zerschlagen, die Hostien zertreten, die Kirche angezündet. Neu-Pommernland ist abgebrannt, sang Pater Joseph leise vor sich hin, schüttelte den Kopf, ließ die Hand durchs Wasser gleiten, das war das Fieber, er brauchte dringend Chinin, wenn man anfing, Kinderlieder zu singen, stand man direkt vor einem Anfall.
    Er kühlte seine Stirn mit ein paar Tropfen, aber die verdunsteten sofort. Nur das Salz blieb, bitter und rau. Alle würden hier untergehen, allein Engelhardt würde überdauern, weil der alle Zivilisation von sich geworfen hatte, die Kolonie würde er überleben und die meisten der Missionare, auch wenn die letzten Monate nach Lützows Weggang schwer gewesen waren für Engelhardt. Er war mager geworden seither, denn er aß nur noch Nüsse. Er hatte viel geschrieben, das war sein Trost gewesen, hatte tagelang gesessen an seinem Felsen, die Füße im Meer, Wort um Wort auf ein Blatt gekritzelt, das er anschließend nicht einmal durchlas, sondern zerknüllte und ins Meer warf, bevor er das nächste Blatt beschrieb. Ein paar Mal kam er bei ihm vorbei, um sich Tinte zu leihen oder einen neuen Block, schrieb weiter, warf weg. Es ist nicht wert, es aufzubewahren, sagte Engelhardt, wenn es gelungen ist, werde ich es Ihnen zeigen, vorher nicht. Ich übe nur, es ist eine Vorbereitung. Wann er merken wird, dass es perfekt ist, hatte er ihn gefragt. Daran, dass kein Wort mehr verändert werden kann, war die Antwort gewesen, doch das ist nur bei dem Wort Gottes der Fall, hatte er gedacht, die Worte der Menschen sind immer willkürlich und frei, aber das sagte er nicht, sondern gab ihm Tinte und Papier, bis der Strom der Wörter allmählich nachließ wie der Regen, wenn die Trockenzeit kommt. Engelhardt hatte nicht mitkommen wollen zur Hauptstadt, obwohl er wusste, dass dort ein paar zukünftige Mitbewohner angekommen waren, zwei Freunde und ein paar andere, die wegen einiger Briefe des Musikers nach Kabakon wollten, insgesamt fünf oder sechs Gäste.
    Seine Boys holten das Segel ein und legten das Boot an. Krähen kreisten über einem Berg brauner Algen. Es roch nach totem Fisch und Jasmin. Ein Fischer hämmerte Nägel ins morsche Holz.
    Im Hotel Deutscher Hof würde Schwester Theodora warten. Sie

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