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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
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des Freischütz singen: Wer rein ist von Herz und schuldlos im Leben, darf kindlich der Milde des Vaters vertraun.
    Als die letzte Welle das Boot an die Küste warf, brach der Rumpf, splitterte Holz, stürzte der Mast, wurde Max ins Wasser geschleudert, schlug mit dem Kinn auf, spuckte Zähne aus und ließ sich sinken. Ruhig und friedlich war es hier unten, das Meer wiegte einen in den Schlaf, doch er wurde nach oben gerissen, irgendeiner zog an ihm, schlang die schwarzen Arme um seinen Hals, der Schwarze Jäger war hier und grub nach seiner Seele, aber er war zu schwach, um sich zu wehren. Blut lief aus ihm heraus. Die Arme schleppten ihn weiter hinauf, weg vom Wasser. Schritte verschwanden. Er regte sich nicht.
    Aus dem Felsen vor ihm schob sich eine rote Schere, ein eckiger Kopf klappte hinauf, zwei Stielaugen fixierten ihn lange Zeit. Der Krebs bewegte schließlich ein Bein nach dem anderen nach vorne, er war groß wie zwei Männerhände, ein zweiter folgte ihm, ein dritter, sie stiegen über die Kiesel, der nächste Krebs folgte, ein ganzer Schwarm, immer schneller krochen sie über die Steine, der Fels gebar sie, und sie kletterten übereinander, eine Welle aus Panzern mit erwartungsvoll klappernden Scheren. Er wollte aufstehen und sie vertreiben, aber sein Körper gehörte schon nicht mehr ihm, nicht der Arm, der jahrelang den Geigenbogen gehalten hatte, nicht die Finger, sein größtes Kapital, sie würden nie wieder Tasten berühren, nicht einmal rufen konnte er, nur die Lider schließen, zum Glück spürte er nichts, sah nichts, roch nichts außer Salz und Tang, nur die Ohren funktionierten noch, hörten es leise in der Luft wie ein Wind, eine Grille, wie ein ferner Gesang, unendlich weit weg. Ein A. Aber nicht in der Luft, er hatte sich getäuscht, sondern innen, da entstand das, ein Ton, immer wieder angeschlagen, Fuß auf dem Pedal, vierhundertsiebenunddreißigeinhalb Schwingungen pro Sekunde, der alte deutsche Kammerton, in Italien hatte er höher gelegen, in Frankreich viel niedriger, doch nicht ganz rein, etwas anderes schwang mit, das Klavier war alt, und er hörte das Vibrieren der C-Saite, hörte das Zimmer, in dem das Klavier stand, die kleine Stube, zu klein für den Ton, der gefangen blieb und sich nicht ausbreiten konnte, sondern sich brach an den Wänden, den groben Holzdielen, der Tür. Hämmern vom Hof her, ein Pferd wurde beschlagen, der Klavierhocker quietschte, er hatte sich das Sofakissen draufgelegt, um an die Tastatur zu kommen, drei oder vier war er da, höchstens, A-H-C-H-A, zuerst die aufsteigenden Achtel, dann absteigende Viertel, die Spannung durch das Gis mit dem Daumen, nach der Wiederholung C-D-E, das Lied schraubt sich nach oben, Schumanns einsames Waisenkind, er spielte das Stück und weinte dabei, denn er war das Kind, einsam und verlassen der Welt ausgesetzt, das erste Mal, dass ein Stück ihn selbst angerührt hatte, selbst bei der Wiederholung weinte er, die Trauer ließ nicht nach, ein wunderbares Gefühl, damals hatte er beschlossen, Musiker zu werden. Andere Töne kamen über ihn, das As-Dur Adagio der Sonate pathetique, voller Trost, eine Hand auf dem schmerzenden Schädel. Alles wird gut, aber Beethoven jagte andere Töne hinterher, ein arpeggierter Sextakkord, der Beginn des Sturms, schwer, ernst, geheimnisvoll und getrieben von einer Unruhe, die das Herz stolpern ließ, irgendetwas war mit dem Stück, er musste sich erinnern, aber das war nicht einfach, nur Fetzen im Kopf, Shakespeare, um den ging es, das hatte Beethoven gesagt, um ein Stück von Shakespeare, Der Sturm hieß es, ein Mann strandet auf einer Insel, gelesen hatte er das nicht, er las nicht, aber das wusste er und dass Beethoven sagte, wer die Sonate verstehen will, soll das Stück lesen. Er hatte etwas verloren, es musste etwas geben, aber er griff immer daneben und weinte, Weinen ging noch, auch wenn sonst nichts mehr funktionierte, und Bach weinte mit ihm und tröstete ihn gleichzeitig im b-Moll-Präludium des Wohltemperierten Klaviers. Es tat so gut, einen Freund zu haben, der einen verstand, auch wenn er Durst hatte, das merkte er erst jetzt, er musste unbedingt etwas trinken, heiß war es; ein gleißendes Licht prügelte auf ihn ein, aber Sie konnten nicht trinken das Wasser, denn der Strom war verwandelt in Blut. Haydn war das. Israel in Ägypten. Seine erste Oper. Die Intervallschritte der Chöre hatten ihn erschreckt und er hatte nach der Hand seiner Mutter gegriffen. Sie war trocken und kalt,

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