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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
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Schwesterntracht und die wahre Schönheit der Menschen, die nicht versteckt werden müsste, doch Pater Joseph hörte es und verstand es und merkte sich die Sprecher. Theodora quasselte weiter. Sie hatte die notwendige Naivität, vielleicht würde sie gerade deswegen hier überleben. Die Sänger waren verschwunden, dafür traten jetzt Herren mit Stehkragen und Zylinder auf, gemessene Schritte, am Arm die Frauen in Rüschenkleidern, Droschken heuchelten Geschäftigkeit, fuhren die Straße hinunter, wendeten, wieder hinauf, man grüßte sich, hob den Hut, guten Tag, gnädige Frau, und nahm sich die Vorfahrt an der einzigen Kreuzung, mein Herr, ich muss doch sehr bitten.
    Ein Tennisball flog über eine Umzäunung, verfehlte den schwarzen Briefträger in der Uniform der Deutschen Post und blieb im Staub der Straße liegen. Pater Joseph bückte sich, hob ihn auf, blies den Dreck weg und steckte ihn ein, trotz des tadelnden Blicks von Theodora, es ist für die Jungs von der Mission, sagte er. Es würde nicht einfach mit ihr werden, dafür war sie zu simpel.
    Am Hafen die Frau mit den braunen Locken, dem Blick einer beleidigten Königin, auf der Schulter die Pranke des Bären, der sie hielt wie eine Beute. Verdammt, grollte der, ein paar Jahre habe ich gewartet, ein paar Wochen, aber jetzt sind mir ein paar Tage zu viel. Heute will ich zu ihm und nicht auf das verfluchte Schiff warten, und wenn ich nach Kabakon schwimmen muss, es kann nicht so weit sein. »Dreißig Meilen«, sagte Pater Joseph. »Ich würde es nicht tun. Die Strömung ist zu stark.«
    Der Bärtige drehte sich um, langsam, aber mit der Intensität eines Tieres, sah ihn an, Augen zusammengekniffen, die Hand noch immer auf der Schulter der Frau, schließlich ein Lächeln.
    »Sie müssen Pater Joseph sein, August hat Sie genau beschrieben.«
    Ein fester Händedruck, sie prüften sich beide. »Dann sind Sie Walter Bethmann, ich habe viel von Ihnen gehört, und nur Gutes. Und Sie sind Anna.« Sie strich sich durch die Haare, kurzes Nicken zur Begrüßung, ein Augenblick der Stille, bis Schwester Theodora sich zwischen sie schob, sich vorstellte, über ihre Ideen sprach bezüglich des Lebens in der Mission, die Warnungen, die ihre Familie ihr noch mitgegeben hatte, Kinderkrankheiten, vorsorgliche Impfungen, Lieblingsrezepte. Anna nahm sie bei beiden Händen, umarmte sie, trotz ihres Sträubens, du bist ein liebes Kind, das habe ich schon auf dem Schiff gemerkt. Theodora errötete, Hilfe suchende Blicke zu Pater Joseph, der versuchte, Anna nicht anzusehen, die ihn direkt anstarrte, das heißt: nicht anstarrte, sondern durch ihn hindurch, ein unangenehmes Gefühl, als sei er gar nicht vorhanden.
    »Wenn Sie nach Kabakon wollen, kann ich Sie mitnehmen, wir haben viel Platz ihm Boot«, sagte er. Theodora rollte mit den Augen, Anna nickte, Bethmann nahm dankend an. »Aber einer fehlt noch, Pastor, wir waren zusammen mit August beim Militär, unser Gitarrespieler, wenn Sie noch ein paar Minuten warten, der ist leicht zu finden, immer den Ohren nach, meistens singt er.« Pater Joseph nickte.
    Der Haufen Algen war verschwunden und der Duft nach Jasmin. Jetzt roch es nur noch nach totem Fisch.

Komm rein ins Meer, rief Anna, aber er kam nicht, sondern blieb am Strand sitzen, an seinen Fels gelehnt, der ihm Sicherheit gab, weil er schon gestern hier gewesen war und es immer sein würde, die Oberfläche rau und porös, eine sanfte Rundung, die gemacht war, seine Wirbelsäule zu stützen, so wie Sisyphus seinen Fels hatte, hatte auch er seinen, aber der Trick war: nicht rollen, nicht kämpfen, sondern die Aufgabe der Götter schlicht ignorieren und stattdessen den Fels sich zum Freund machen. Nur in einem waren er und der Grieche sich ähnlich, denn jeder Tag war wie der andere, Mann und Fels waren im Laufe der Zeit zusammengewachsen, sodass man kaum noch unterscheiden konnte, was Fleisch war und was Stein. Alle Tage waren sich gleich gewesen. Bis heute. Jetzt war alles anders, das Licht hatte einen neuen Glanz, das Meer war unruhiger, der Wind wehte aus der falschen Richtung und über dem Strand kreiste ein Vogel, den er nicht kannte.
    Er beobachtete Wilhelm, der sich von seiner Gitarre getrennt hatte und durchs seichte Wasser platschte, Purzelbäume schlug, Fische jagte, dabei sang, über Wasser und darunter, und ihm hin und wieder etwas zurief, was er nicht verstand. Anna schwamm mit ruhigen Bewegungen. Walter kraulte mit kräftigen Zügen bis zum Riff, natürlich, das

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