Das Paradies des August Engelhardt
geschrieben. Ich freue mich, den kennenzulernen. Ist er hier?
Engelhardt hatte den Kopf geschüttelt. Lange Geschichte, hatte er gesagt, erzähle ich später.
Anna stieg aus dem Wasser, fuhr durch die lockigen Haare, die Geburt der Venus, nur dunkler und voller als bei Botticelli, sie war noch schöner geworden, seit er sie bei Diefenbach gesehen hatte, runder und weicher, nur ihr Blick war fordernd, wie er immer gewesen war, und ein wenig spöttisch, manchmal kalt und nie leicht zu ertragen. Er erinnerte sich an sie, mehlbestaubt in Diefenbachs Küche, nackt bei den Pappeln, wo Fidus sie malte, lesend am Bach, wie sie bei ihm saß, als es ihn fieberte. Der Morgen, als sie Hand in Hand ging mit Walter und er beschloss, den Jungborn zu verlassen und beide nicht wiederzusehen. Jetzt war sie seine Verlobte, das hatte Walter gesagt, sie werden heiraten, vielleicht hier auf Kabakon nach dem Ritual der Wilden. Eine Nuss wird über dem Brautpaar geöffnet und beide mit dem Kokoswasser getauft, das hatte er Walter vor einigen Monaten geschrieben. Engelhardt solle ihr Zeuge sein.
Sie streckte die Arme über den Kopf, griff mit der rechten Hand das linke Handgelenk, zog sich ein wenig in die Länge, reckte sich nackt und begehrenswert, ging auf ihn zu, gleich würde sie neben ihm sitzen, und er legte sich das Tuch über die Lenden. All dem war er längst entkommen, ein Paradies ohne Eva hatte er sich errichtet, einen Sonnentempel ganz ohne Frauen, und die, die sich angekündigt hatten, waren keine Gefahr, Fräulein Henning vom Jungborn, groß, bläulich und hager, die Arme behaart wie ein Mann, und Bella Nonnenmacher mit dem Gesicht eines Lateinlehrers, die hätte er beide ertragen können, aber nicht Anna, die ihre Hand auf seine Schultern legte, schön, dich wiederzusehen, ihre Stimme so tief und vertraut, dass er nicht antworten konnte, hilf mir, Vater Helios, betete er stumm.
»Ich habe dich immer gespürt«, sagte sie, »egal wo ich war und egal wie weit weg du warst, schon bevor ich dich kennenlernte, wusste ich, dass es dich gibt, nur wusste ich nicht, ob ich dich jemals finden würde. Du bist der Freund meiner Seele mehr als alle anderen, mehr auch als Walter, aber er ist der Mann an meiner Seite, das ist etwas anderes, und ich finde es großartig, dass du das achtest und ich hier leben kann mit dir und ihm auf dieser Insel. Wir werden das Paradies neu errichten. Wir werden mit allen, die kommen werden, eine Welt errichten, ohne Besitz und ohne Neid, den der Besitz erzeugt. Wir werden ein Beispiel sein für unzählige andere. Sie werden kommen und sehen und werden bekehrt. Ich bin stolz auf dich.«
Wilhelm stolperte aus dem Wasser, prustete laut, ließ sich rückwärts wieder hineinfallen, platschte wie ein Kind, kroch schließlich zu ihnen, breitete sich im Sand aus, stöhnte vergnügt. »Ein Paradies ist deine Insel, hier kann man leben, und ich freue mich darauf, zu sehen, wie es den anderen gefällt. Ein paar der Leute kennst du noch von Diefenbach her. Bradtke kommt und Fräulein Henning, die Riesenfrau mit dem dezenten Oberlippenbart. Dann eine Menge von Leuten aus dem Jungborn, über ein Dutzend, sehr streng, sehr deutsch, wie ich finde, für sie bist du der Meister. Ich habe nicht widersprochen, auch wenn ich dich besser kenne. Eines Tages wird dein Name in einem Atemzuge mit dem von Christus oder Buddha genannt werden, glauben einige von ihnen wenigstens. Und noch einmal so viele kommen aus ganz Deutschland zusammen, Nacktgeher, Fruchtesser, Militärflüchtlinge, Yogaübende, Gottsucher, Sozialisten, Körperbildner, Atemlehrer, Ausdruckstänzerinnen, Turner, Naturheilkundler, Selbstreformer, Gesellschaftsreformer, Genossenschaftler, Makrobiotiker. Ein bunter Haufen, wir werden eine Menge Spaß haben zusammen.« Walter stieg aus dem Meer, kraulte sich das Wasser aus dem Bart.
»Es ist schön, dass ihr hier seid«, sagte Engelhardt. »Ich habe viel gelesen und viel nachgedacht in den vergangenen Jahren. Ich freue mich, das mit euch zu teilen. Wir werden uns alle erneuern.«
»Aber erst nach dem Essen«, sagte Wilhelm.
Anna hatte Lampen vermisst, aber er hatte hier nie welche gebraucht. Sterne und Mond hatten gereicht, und die Nacht war zum Schlafen, normalerweise, aber nicht diese Nacht, die war zum Reden, während sie zu viert am Strand lagen, in den Himmel blickten, über den das Kreuz des Südens zog und hin und wieder eine Sternschnuppe. Erinnerst du dich, Walter, wie wir uns das erste Mal
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