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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
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war so kalt wie Annas Augen, die durch Walter schnitten. Engelhardt ertrug nicht ihren Blick und wollte fliehen, aber wohin, wenn selbst die Südsee nicht reichte, sondern sie ihm hinterherreiste, über Tausende von Kilometern hinweg, was würde da eine Flucht nutzen ans andere Ende der Insel?
    Das Schiff lag tiefer im Wasser als sonst, zum Glück war das Meer ruhig, sonst wäre es gekentert. Ein Gewimmel an Bord, Arme winkten, dünne Stimmchen schrien übers Wasser, Kofferstapel am Bug, ein schriller Pfiff, dass Engelhardt zusammenfuhr, der Zug in Köln hatte den gleichen Ton gehabt, damals beim Abschied, der endgültig sein sollte. Anna sah ihn an, sie hatte ihn auch gehört und das Gleiche gedacht. Noch nie hatte der Kapitän hier gepfiffen. Dieseltuckern, als die Ersten an Land sprangen, eine Kette bildeten, die Kisten auf den Strand schleppten, dazu Koffer, Leinensäcke, Tornister, Kisten, Körbe, Töpfe, Truhen, Taschen, zwei Fässer, einen Bottich, einige Ballonflaschen, ein kleines Ruderboot, einen Kontrabass, einen Fotoapparat, einen kläffenden weißbraunen Spitz, der sich sofort davonmachte und in den Palmen verschwand, verfolgt von einer Frau mit dem roten Gesicht einer angetrunkenen Bäuerin, Richard, komm sofort wieder her.
    Die Übrigen kamen näher. Pastor nahm seine Gitarre und sang ein Lied von Meer und Sonne und Glück. »Nicht schon wieder«, maulte ein Junge mit Ausschlag unter der Nase, »monatelang mit dir auf dem Schiff war schlimm genug.«
    »Lass ihn doch«, Bella Nonnenmacher mit dem Lateinlehrergesicht, sie war bei Diefenbach gewesen. Ein Mann schritt auf Engelhardt zu, auf dem Kopf eine weiße Kappe, das Gesicht haarlos, nicht einmal Brauen oder Wimpern hatte der Mann. »Wir erbieten dem Messias des Sonnenordens unseren Gruß und bitten, als Jünger hier Aufnahme zu finden. Wir waren alle gemeinsam im Jungborn. Mein Name ist Emil Friebel. Die Frau mit dem Hund und dem schwäbischen Dialekt ist Martha Held. Und der Junge, der die Gitarre nicht mehr hören kann, ist Ulrich Andersen. Die anderen sind Lena Köpper, Horst Remmele, Harald Schwudtke, Theo Kunkel, Anja Rieder, Walburga Silberman und Hubert Katz.«
    Engelhardt nickte der Gruppe zu, die ernst und gefasst auf seine Antwort wartete.
    »Ich bin Sarah«, sagte eine Frau, die abseits der Jungborner stand. »Die anderen hier sind Erwin, Kurt, Jonathan, Salomon, Karin, Hermine, Franz-Karl, Ludwig, David und Maja, und alle haben wir Hunger und Durst.«
    »Wir begrüßen euch auf dem Mutterland des tropischen Sonnenordens als erste Kolonisten«, sagte Engelhardt und reichte jedem Einzelnen eine Kulau, frisch geerntet und aufgeschlagen. »Willkommen auf Kabakon. Trinkt das und dann kommt mit, wir haben etwas vorbereitet.« Er führte alle am Strand entlang zu seiner Hütte, wo sie auf dem Sand Tücher ausgebreitet hatten und darauf Bananenblätter mit Obst, Gemüse und Nüssen. Im Paradies muss keiner hungern und dürsten, sagte er. In Kokosschalen steckten die Stängel von Orchideen, eine Idee Annas. Auf Holzbrettern das Brot, das sie in einem Erdofen gebacken hatte. Nautilus-Muscheln gefüllt mit Mangostückchen. Blüten in frischen Papayas. Tomaten und Gurken, nur Kokoswasser gab es zu wenig. Emil Friebel, der Mann mit der Sonnenmütze, bot an, auf eine Palme zu klettern, um welche zu ernten, ratschte aber hinunter, fluchte, lutschte das Blut von dem Daumen, fragte Engelhardt, der die Palme ohne jede Mühe hinauftänzelte und junge Nüsse nach unten warf, die Bethmann köpfte und verteilte. Engelhardt blieb einen Moment auf der Palme sitzen, geschützt von den Wedeln, sah in die Ferne, über sein Meer, auf die Nachbarinseln, in den weiten Himmel. Manches von dem, was sie unten sagten, verstand er sogar noch hier oben:
    »Spspspsparta, sage ich nur, Sparta.« Das war der Junge mit dem Ausschlag im Gesicht. »Freiheit allein ist genug.« Weit draußen sprangen Delfine, aber die sah keiner von ihnen. »Nur die Keuschheit.« Walburga Silberman, ein seltsamer Name, deswegen wusste er ihn noch, die meisten der anderen hatte er wieder vergessen. »Der Körper in der Bewegung ist immer schön.« Ein Mann mit der Gestalt eines Turners. Er hatte einen Sack von Bällen mit auf die Insel gebracht. »Hier findet die Menschheit Heilung von Dunkelkrankheiten wie der Tuberkulose.« Eine der Frauen. »Endgültige Klärung der Nahrungsfrage.« Das war Walter. Anna sagte nichts, sondern suchte mit den Augen den Strand ab, vielleicht nach der Frau mit dem

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