Das Paradies des August Engelhardt
das ist vom Übel, hatte er ihr gepredigt, aber sie hatte nicht begriffen, was er damit meinte, sondern weitergeredet, selbst während ihrer ersten Fieberanfälle, die sie erstaunlich gut überstanden hatte. Außerdem liebten die Kinder sie, sie machten sich zwar über sie lustig und respektierten nie ihre Anordnungen, aber sie liebten sie doch, und daraufkam es an. Seit Wochen war er nicht mehr auf Kabakon gewesen, konnte aber seit ein paar Tagen das Anwachsen einer kleinen Siedlung an der Westspitze der Insel beobachten, direkt gegenüber der Missionsstation. Es waren vier oder fünf Hütten, vermutlich aus Palmwedeln. Nie sah er mehr als ein Dutzend Menschen. Die sind alle nackt, hatte Schwester Theodora mithilfe seines Fernglases festgestellt und sich bekreuzigt, einmal für jeden Nackten, der in ihr Blickfeld trat, guter Gott erlöse mich, alle nackt, und sie tanzen um das Goldene Kalb herum. Pater Joseph hatte ihr das Fernglas aus der Hand genommen und sie in die Küche geschickt. Sie tanzten nicht ums Goldene Kalb, sondern um das Grammophon, das Bach hiergelassen hatte, aber es waren längst nicht alle neuen Bewohner der Insel, Walter Bethmann und Anna fehlten, dafür erkannte er Wilhelm Pastor mit der Gitarre und zwei der Frauen aus Herbertshöhe.
Die Strömung war stark und er musste heftiger paddeln als sonst, um nicht abgetrieben zu werden. Erst als er die Insel im Osten umrundet hatte, wurde das Meer ruhiger. Die Hütte Engelhardts wirkte klein und geduckt neben den vielen anderen, die in der Nähe gebaut waren. Außerdem wuchsen mannshohe Grundmauern eines quadratischen Gebäudes mit einer Seitenlänge von mindestens zwanzig Metern. Das Holz kam von einer Schneise, die in die Palmenplantage gefräst worden war. Er zog das Kanu auf den Strand. Eine kleinere Gruppe am Meer machte Turnübungen, die Gesichter rot und konzentriert, angetrieben von einem Mann, der seinen Sonnenhut kurz abnahm, um ihn zu grüßen, und sich wieder den Übenden zuwandte, nicht nachlassen, noch zwanzig Liegestützen schafft ihr, das weiß ich, noch neunzehn, ihr seid keine Schlappschwänze, achtzehn, nein, August Engelhardt ist gerade nicht hier, siebzehn, er solle mit Walter Bethmann sprechen, sechzehn, das sei am besten. Pater Joseph suchte bei den Hütten und erschrak, als eine Frau ihn von hinten anrief: »Was sollen die Kleider? Hier gehen wir nackt.« Sie war breit und rosig wie eine gut genährte Sau, das Gesicht grob, eine Frau vom Land mit dem breiten Dialekt der Leute von der Alb.
»Ich bin Missionar«, sagte Pater Joseph. »Ich bedecke lieber meine Blöße.«
»Und damit machen Sie die erst interessant. Erst die Kleidung sexualisiert den Körper und schafft das schwüle Begehren.
Wenn man sich auszieht, mindert man das Begehren und kann es besser kontrollieren. Daher gilt: keine Moral ohne Nacktheit. Wir leben hier nicht in gemeiner Sinnlichkeit, wie jene anderen, die wir vertrieben haben, sondern in einer edlen, vergeistigten, vornehmen und deutschen Sinnenfreudigkeit.«
»Das freut mich für Sie«, sagte Pater Joseph. »Ist August Engelhardt hier?«
»August ist irgendwo in den Palmen. Wir sehen ihn nur noch selten. Er isst nichts mehr, nicht einmal Nüsse, sondern trinkt nur das Licht der Sonne und das Nusswasser. Wir haben ihn enttäuscht. Er hat Großes geleistet, aber seine Aufgabe ist so gut wie beendet. Jetzt geht es um die Weiterentwicklung seiner Anfänge. Aber Walter Bethmann ist hier.«
»Christus und Paulus«, sagte Pater Joseph. »Ich kenne die Geschichte.«
»Nein, mein lieber Pater. Mit dem Christentum halten wir es hier nicht.« Die tiefe Stimme Bethmanns, der aus der Tür rechts gekommen war und ihm die Hand reichte. »Wir sind keine Christen, sondern Indoteutonen.«
»Das heißt?«
»Teuto ist der Sonnengott, in dessen Namen unsere Vorfahren aus Indien nach Westen wanderten, nach Teutoland.«
»Ein Heidengott also.«
»Wenn Sie das so ausdrücken wollen. Unsere Vorfahren waren Sonnendiener, und deswegen habt ihr Christen später den Chor eurer Kirchen gegen Sonnenaufgang gebaut. Das Christentum hat den Sonnengott verdrängt und den jüdischchristlichen Gott an seine Stelle gesetzt.«
»Die Liebe des wahren Gottes hat keinen Platz gelassen für die Götter der Heiden.«
»Leider. Das was eine traurige Konsequenz des Lebens im Norden. Die nordische Sonne ist zu wenig allmächtig, allgütig und allgegenwärtig, im Vergleich zur Sonne Indiens, als dass sie den Rang der Gottheit hätte
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