Das Paradies ist anderswo
lebte.
Kaum hatte General Nieto begonnen, die Stadt militärisch aufzurüsten und sie für den Widerstand gegen die Gamarra-Anhänger vorzubereiten, bekam Don Pío hysterische Anfälle. Für ihn bedeuteten die Bürgerkriege, daß die kämpfenden Parteien sein Vermögen plündern würden, unter dem Vorwand, Beiträge für die Verteidigung von Freiheit und Vaterland einzutreiben. Weinend wie ein Kind, erzählte er Flora, General Simón Bolívar habe ihm fünfundzwanzigtausend Pesos abgenommen und General Sucre weitere zehntausend, und natürlich hätten diese beiden Schurken ihm keinen Centavo zurückgezahlt. Was für einen Anteil würde ihm jetzt General Nieto abzwingen, der noch dazu eine Marionette dieses dämonischen revolutionären Geistlichen war, dieses gottlosen Dekans Juan Gualberto Valdivia, der in seiner Zeitung El Chili Bischof Goyeneche angeklagt hatte, das Geld der Armen zu stehlen, und gegen das Zölibat der Geistlichen protestierte, das er abschaffen wollte? Flora riet ihm, er solle, bevor General Nieto ihm einen Anteil auferlege, persönlich, in einem Akt spontaner Unterstützung, bei ihm vorstellig werden und ihm fünftausend Pesos übergeben. Auf diese Weise würde er ihn für sich gewinnen und wäre vor weiteren revolutionären Aderlässen geschützt.
»Glaubst du, Florita?« murmelte der Geizhals. »Würden nicht zweitausend genügen?«
»Nein, Onkel, Sie müssen ihm fünftausend geben, um ihn gefühlsmäßig zu entwaffnen.«
Don Pío hörte auf sie. Fortan beriet er mit Flora sein gesamtes Vorgehen in einem Konflikt, in dem es ihm wie allen vermögenden Bewohnern Arequipas nur darum ging, nicht von den streitenden Parteien ausgeraubt zu werden.
Oberst Althaus erhielt seine Ernennung zum Chef des Generalstabs von General Nieto, nachdem er erwogen hatte, sich in den Dienst des Gegners, General San Román, zu stellen, der sich von Puno her mit dem Gamarra-Heer näherte, um Arequipa einzunehmen. Althaus machte Flora allerlei vertrauliche Geständnisse; die Aussicht auf einen Krieg freute ihn gewaltig. Er spottete grausam über General Nieto, der mit dem, was er sich von den Besitzenden Arequipas in klingender Münze hatte auszahlen lassen – Flora hatte die zerknirschten Herren mit ihren Geldbeuteln unter dem Arm auf der Calle Santo Domingo in Richtung Präfektur vorbeiziehen sehen, wo sich das Hauptquartier befand –, »zweitausendachthundert Säbel« gekauft hatte, und das »für ein Heer von nur sechshundert Soldaten, die man mit Hilfe von Stricken auf der Straße ausgehoben hatte und die nicht einmal Schuhe an den Füßen trugen«.
Eine Meile vor der Stadt wurde das Feldlager errichtet. Unter dem Oberbefehl von Althaus bildeten etwa zwanzig Offiziere die Rekruten in der Kriegskunst aus. In ihrer Mitte bewegte sich, auf einem Maulesel und eingemummt in einen dunkelvioletten Umhang, mit einem Karabiner über der Schulter und einer Pistole am Gürtel, der finstere Dekan Valdivia. Er war erst vierunddreißig Jahre alt, doch vorzeitig gealtert. Flora konnte einige Worte mit ihm wechseln und kam zu dem Schluß, daß dieser geistliche Freibeuter wahrscheinlich die einzige Person war, die in dieser Revolution für ein Ideal kämpfte und nicht für schäbige Interessen. Nach der militärischen Ausbildung forderteder Dekan die gähnenden Soldaten in leidenschaftlichen Ansprachen auf, die Verfassung und die Freiheit in Gestalt von Marschall Orbegoso bis zum Tod gegen »Gamarra und seine Marketenderin, die Marschallin«, diese Putschisten und Umstürzler der demokratischen Ordnung, zu verteidigen. Nach der Überzeugung zu urteilen, mit der er sprach, glaubte der Dekan Valdivia felsenfest an das, was er sagte.
Außer dem regulären Heer, das aus den zwangsrekrutierten Soldaten bestand, gab es ein Bataillon junger Freiwilliger aus den vermögenden Familien Arequipas. Sie hatten sich selbst den Namen »die Unsterblichen« gegeben, ein weiterer Beweis für den Zauber, den hier alles besaß, was aus Frankreich kam. Diese jungen Männer der Oberklasse hatten ihre Sklaven und Diener mitgebracht, die ihnen beim Ankleiden halfen, ihnen das Essen zubereiteten und sie auf ihren Armen über morastige Stellen und über den Fluß trugen. Als Flora das Feldlager besuchte, richteten sie ihr ein Bankett aus, mit indianischen Musik- und Tanzgruppen. Würden diese jungen Männer der guten Gesellschaft, die wie auf einem dieser mondänen Feste wirkten, mit denen sie ihr Leben verbrachten, fähig sein zu kämpfen?
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