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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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schämtest in deiner Furcht, die junge, schöne, reine, immaterielle Madeleine Bernard könnte dieses ununterdrückbare Furzgewitter hören, auch ein Erbe des Sumpffiebers (oder womöglich die ersten Symptome der unaussprechlichen Krankheit, Paul?), das du dir bei deinem unglückseligen Abenteuer in Panama und auf Martinique geholt hattest!
    Jetzt, während seine Zunge, ein ungehorsames, wildes kleines Tier, die Sache dem guten Pierre Levergos zu erklären versuchte, der auf seinem Stuhl eingenickt war, hegtest du nicht mehr den geringsten Groll gegen Emile Bernard. Obwohl dieser seit dem Bruch im Jahre 1891 allenthalben verkündet hatte, du habest ihm seine Ideen einer »synthetischen Kunst« streitig machen wollen. Als würde dich die Rolle eines Begründers von Schulen interessieren, an die sich später wahrscheinlich niemand mehr erinnerte. Als schmerzvoller hattest du andere Dinge empfunden, die der hübsche, feinsinnige Junge behauptet hatte, der, zwanzig Jahre jünger als du und Bruder der schönen Madeleine, mit seinen zarten achtzehn Jahren eines Tages in der Pension Gloanec erschienen war, um dir stammelnd zu sagen: »Mich schickt Ihr Freund Schuffenecker aus Concarneau. Er sagt, Sie seien der einzige Mensch in der Welt, der mir helfen kann, ein wirklicher Künstler zu werden.« Jetzt behauptete er, du habest die Komposition, die Idee und die Hauben der verzückten Bretoninnen deiner Vision nach der Predigt von seinem zuvor entstandenen Bild Bretonin nen auf der Wiese übernommen.
    »Blödsinn, mein lieber Pierre«, erklärte er, während er auf den Tisch klopfte. »Von diesen Bretoninnen auf der Wiese ist mir nur der Titel in Erinnerung geblieben. Was war mit meinem besten Schüler passiert, daß er plötzlich von Neid erfüllt war und mich haßte?«
    Ihm war etwas sehr Menschliches passiert, Paul: Er hatte begriffen, daß Die Vision nach der Predigt ein Meisterwerk war. Das war zuviel für ihn. Aus Rache begann er, den zu hassen, den er so geliebt und bewundert hatte. Armer Emile! Was mochte aus ihm geworden sein? Obwohl es bei näherem Überlegen vielleicht nicht unzutreffend war, was er gesagt hatte. Ohne Bernard hättest du in jenem Sommer 1888 in deinem schmalen kleinen Zimmer in der Pension Gloanec mit all den befreundeten Malern, die dich als ihren Mentor betrachteten – Bernard, Laval, Chamaillard, Meyer de Haan –, womöglich niemals dieses Bild gemalt,auf dem ein Wunder oder vielleicht nur eine Vision dargestellt war. Nach der Sonntagspredigt eines tonsurtragenden Pfarrers, dessen Profil dem deinen glich und der an den äußersten Rand des Bildes gedrängt war, erblickte oder phantasierte vielleicht nur eine Gruppe frommer Bretoninnen, konzentriert im Gebet und im Zustand der Verzückung, jene beunruhigende Episode der Genesis: Jakobs Kampf mit dem Engel, nachgebildet auf einem bretonischen Wiesengrund, der, durch einen Apfelbaum in zwei Teile geteilt, von einem unmöglichen Zinnoberrot war. Das wahre Wunder dieses Bildes, Paul, war nicht das Erscheinen der biblischen Gestalten in der Wirklichkeit oder im Geist dieser schlichten Bäuerinnen. Es waren die schamlosen, kühn antinaturalistischen Farben, das Zinnoberrot der Erde, das Flaschengrün der Kleidung Jakobs, das Ultramarinblau des Engels, das Preußischschwarz der weiblichen Kleidungsstücke und das rosa, grün oder blau schimmernde Weiß der langen Reihe von Hauben und Halskragen, die sich zwischen den Betrachter, den Apfelbaum und das kämpfende Paar schoben. Wundersam war die Schwerelosigkeit, die im Innern des Bildes herrschte, dieser Raum, in dem der Baum, die Kuh und die inbrünstigen Frauen im Banne ihres Glaubens zu schweben schienen. Das Wunder bestand darin, daß es ihm mit diesem Bild gelungen war, dem prosaischen Realismus ein Ende zu machen und eine neue Realität zu schaffen, in der das Objektive und das Subjektive, das Reale und das Übernatürliche untrennbar miteinander verschmolzen. Gut gemacht, Paul! Dein erstes Meisterwerk, Koke!
    Diesen katholischen Glauben kanntest du damals nicht. Du hattest ihn verloren, wenn du ihn überhaupt jemals besessen hattest. Du warst nicht in die Bretagne gereist, um den Katholizismus zu suchen, wie ihn das vergangenheitszugewandte bretonische Volk bewahrt hatte, das sich in jenen Jahren still und unbeugsam den antiklerikalen Bestrebungen der Dritten Republik widersetzte, die in Frankreich eine radikale Säkularisierung durchsetzen wollte. Duwarst dorthin gereist, wie du dem guten Schuff

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