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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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erklärtest, um die Wildheit und die Primitivität zu suchen, die dir geeignet schienen, die große Kunst zum Blühen zu bringen. Die ländliche Bretagne faszinierte dich von Anfang an durch ihre Unverfälschtheit, ihren Aberglauben, ihr Festhalten an uralten Riten und Sitten: ein Land, das den Modernisierungsbestrebungen der Regierung unbekümmert den Rücken kehrte und auf die Säkularisierung mit immer mehr Prozessionen, überfüllten Kirchen und zahllosen Jungfrauenerscheinungen reagierte. All das zog dich in seinen Bann. Um dich dem Milieu anzupassen, übernahmst du die gestickte bretonische Weste und die Holzschuhe, die du selbst dir zurechtschnitztest und verziertest. Du wohntest den »Vergebungen« bei, Zeremonien, die in Pont-Aven besonders großen Zulauf hatten und bei denen die Gläubigen, etliche von ihnen auf den Knien, die Kirche umrundeten und um Vergebung für ihre Sünden baten; du besuchtest sämtliche steinernen Kreuzigungsgruppen der Region, angefangen bei der in Nizon, die am meisten verehrt wurde, und pilgertest zur kleinen Kapelle von Trémalo mit ihrem uralten Christus aus mehrfarbigem Holz, der dich zu einem weiteren religiösen Bild inspirieren sollte: Gelber Christus .
    Ja, der Stoff für die antinaturalistische Malerei, von der du träumtest, befand sich in der Bretagne, wie du dem guten Schuff feierlich erklärtest: »Wenn meine Holzschuhe auf diesem Granitboden widerhallen, höre ich den zugleich dumpfen und mächtigen Ton, den ich auf meinen Bildern zu erreichen suche.« Du hättest ihn nicht ohne Bernard und seine Schwester Madeleine erreicht. Ohne sie wäre in dir nicht das Gefühl gekeimt, daß auch du allmählich, ohne dir dessen anfänglich bewußt zu sein, von diesem Glauben durchdrungen wurdest, der ihnen angeboren war, nicht mehr und nicht weniger als ihre zarten Gesichtszüge, ihre gefällige Gestalt und die Anmut, mit der sie sich bewegten und sprachen. Die beiden Geschwister lebten die Religion vierundzwanzig Stunden am Tag.Emile hatte die ganze Bretagne und Normandie durchwandert und Kirchen, Klöster, Kapellen und Kult- und Andachtsstätten besucht, auf der Suche nach Spuren des Mittelalters, das in seiner Gottgläubigkeit, in seiner alle öffentlichen und privaten Tätigkeiten durchdringenden Religiosität für ihn die erhabenste Epoche der menschlichen Zivilisation war. Bernard war kein Frömmler, sondern ein Gläubiger, eine seltsame Spezies für dich, der den jungen Mann zuerst seiner glühenden Religiosität wegen verspottet und sich dann unmerklich von der Intensität hatte anstecken lassen, mit der Emile den christlichen Glauben lebte.
    Ein unvergeßlicher Sommer, nicht wahr, Paul? »Wahrhaftig«, rief er aus, während er dem Tisch einen weiteren Fausthieb versetzte. Pau’ura hatte sich mit dem Kind auf den Armen in die Hütte zurückgezogen, und beide schliefen bestimmt schon, friedlich vereint mit der Katze. Pierre Levergos schlummerte zusammengesunken auf seinem Stuhl und ließ ab und zu ein Schnarchen vernehmen. Die Nacht war dunkel gewesen, als sie sich zum Essen hingesetzt hatten, aber der Wind hatte die Wolken vertrieben, und jetzt erhellte das Licht des Halbmondes die Umgebung. Während du deine Pfeife rauchtest, konntest du die Kette goldener Sonnenblumen sehen, die sich um die Hütte zog. Man hatte dir versichert, daß sich die europäischen Sonnenblumen in der tropischen Feuchtigkeit Tahitis unmöglich akklimatisieren könnten. Doch du mit deiner Hartnäckigkeit hattest Daniel de Monfreid um die Samen gebeten und sie gemeinsam mit Pau’ura gepflanzt, begossen und liebevoll gehegt. Und da waren sie jetzt, lebendig, steil aufragend, leuchtend, exotisch. Weniger prachtvoll als die Sonnenblumen der Provence, die der verrückte Holländer mit so großem Eifer gemalt hatte; aber sie leisteten dir Gesellschaft und schenkten dir – warum, Paul? – eine gewisse geistige Gelassenheit. Pau’ura dagegen brachten diese sonderbaren Blumen zum Lachen.
    In jenem Sommer 1888, in dem kleinen, am Aven gelegenenbretonischen Dorf, widerfuhren dir außergewöhnliche Dinge. Du hattest den katholischen Glauben verstanden, Die Elenden von Victor Hugo gelesen, ein bleibendes Werk gemalt – Die Vision nach der Predigt –, dich sittsam in Madeleine Bernard verliebt, diese fleischgewordene Jungfrau Maria, und ihren Bruder Emile ins Herz geschlossen. Es war der Sommer, in dem der verrückte Holländer dich in seinen leidenschaftlichen Briefen drängte, endlich zu ihm nach Arles

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