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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Románs nach einigen Ausfällen mit dem Bajonett zurückzuwerfen. Dies war der Moment, in dem Nieto, statt auf das Verlangen des Geistlichen und des Deutschen einzugehen – den Feind zu verfolgen und zu vernichten –, den Waffenstillstand akzeptierte, den dieser verlangte. Er traf mit San Román zusammen, sie umarmten sich und weinten, küßten gemeinsam eine peruanische Flagge, und nachdem der Gamarra-Anhänger ihm versprochen hatte, daß er Orbegoso als Präsidenten Perus anerkennen werde, schickte ihm der Idiot von Nieto jetzt Nahrungsmittel und Getränke für seine ausgehungerten Soldaten. Der Dekan Valdivia und Althaus versicherten ihm, es handle sich um eine List des Gegners, um Zeit zu gewinnen und seine Streitkräfte neu zu ordnen. Es war wahnwitzig, den Waffenstillstand zu akzeptieren! Doch Nieto blieb dabei: San Román war ein caballero ; er würde Orbegoso als Staatschef anerkennen, und auf dieseWeise könnte sich die peruanische Familie versöhnen.
    Althaus bat Don Pío, er möge im Verein mit anderen herausragenden Persönlichkeiten Arequipas Nieto absetzen, das militärische Kommando übernehmen und die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten befehlen. Floras Onkel wurde leichenblaß. Er schwor, er fühle sich krank, und verzog sich in sein Bett. »Das einzige, was diesem alten Geizhals Sorgen macht, ist sein Geld«, murrte Althaus. Florita bat ihren Vetter, er möge sie mit ins Lager nehmen, jetzt, da der Krieg vorbei sei. Der Deutsche zögerte einen Augenblick und willigte dann ein. Er setzte sie auf die Kruppe seines Pferdes. Die ganze Umgebung lag in Ruinen. Landgüter und Wohnhäuser waren geplündert worden, bevor die Marketenderinnen sie in Besitz genommen und in Zufluchtsorte oder Krankenstationen verwandelt hatten. Blutende, notdürftig verbundene Frauen kochten auf improvisierten Herdfeuern, während verwundete Soldaten ohne die geringste Versorgung stöhnend auf dem Boden lagen und andere die Erschöpfung des Kampfes ausschliefen. Zahlreiche Hunde streunten herum und schnüffelten an den Leichen, unter Schwärmen von Geiern. Als Flora im Kommandoposten von Althaus einige Offiziere über das Kampfgeschehen befragte, traf ein Parlamentär San Románs ein. Er erklärte, der Generalstab habe übereinstimmend beschlossen, das Versprechen seines Chefs, Orbegoso als Präsidenten anzuerkennen, sei unerfüllbar: Sämtliche Offiziere widersetzten sich. Man werde die Kriegshandlungen also wiederaufnehmen. »Wegen des Schwachkopfs von Nieto haben wir eine gewonnene Schlacht verloren«, flüsterte Althaus Flora zu. Er gab ihr ein Maultier, damit sie nach Arequipa zurückkehren und der Familie mitteilen konnte, daß der Krieg von neuem begann.
    Als in ihrem schäbigen kleinen Zimmer im Hotel du Gard der Morgen graute, lachte sie allein vor sich hin bei der Erinnerung an jene Schlacht, die sich von einer Wirrnis zur anderen ihrem unwahrscheinlichen Ausgang näherte. Es war ihr dritter Tag in dem verhaßten Nîmes, und amVormittag hatte sie eine Verabredung mit dem Bäcker-Dichter Jean Reboul, dessen Gedichte Lamartine und Victor Hugo gelobt hatten. Würdest du in diesem aus der Welt der Ausgebeuteten hervorgegangenen Dichter endlich den Fürsprecher finden, den du brauchtest, damit in Nîmes die Idee der Arbeiterunion Wurzeln schlagen und die Bewohner der Stadt aus ihrer Betäubung wecken konnte? Weit gefehlt. In Jean Reboul, Frankreichs berühmtem Volksdichter, fand sie einen überheblichen, eitlen Menschen – die Eitelkeit war die Krankheit der Dichter, Florita, das stand fest –, den sie schon nach zehn Minuten Beisammensein verabscheute. Es gab einen Moment, in dem sie ihm fast den Mund zugehalten hätte, um zu sehen, ob seine geschwätzige Zunge auf diese Weise verstummte. Er empfing sie in seiner Bäckerei, ging mit ihr in den Oberstock hinauf, und als sie ihn fragte, ob er von ihrem Kreuzzug und von der Arbeiterunion gehört habe, begann der weißbestäubte, eingebildete Dickwanst, die Herzöge, Akademiemitglieder, Autoritätspersonen und Professoren aufzuzählen, die ihm schrieben, seinen göttlichen Funken lobten und ihm dankten, was er für die Kunst Frankreichs tat. Als sie versuchte, ihm die friedliche Revolution zu erklären, die der Ungleichheit, der Ungerechtigkeit und der Armut ein Ende machen würde, unterbrach sie der selbstgefällige Tropf mit einem Satz, der ihr die Sprache verschlug: »Aber genau das ist es doch, was unsere heilige Mutter Kirche tut, Madame.« Als Flora sich wieder

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