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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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pornographischer Bilder, seine Reisetruhe mit den Erinnerungen, sein Selbstbildnis als Christus auf Golgatha und ein kleines Bild mit einer schneebedeckten bretonischen Landschaft bei sich. Trotz der Bitten des neuen Besitzers seines Hauses in Punaauia, alles mitzunehmen, ließ er einige eingerollte Bilder und ein Dutzend Holzfiguren seiner erfundenen tupapaus zurück. Wie Monsieur Axel Nordman ihm einige Monate später brieflich mitteilen sollte, hatte er alle Figuren ins Meer geworfen, da sie seinen kleinen Sohn erschreckten.

XV

Die Schlacht von Cangallo
Nîmes, August 1844
    In dem stickigen kleinen Zimmer des Hôtel du Gard in Nîmes, das alt und nach Katzenurin roch, in dem Flora vom 5. bis zum 12. August 1844 sechs schreckliche Tage und Nächte verbrachte, die schlimmsten ihrer ganzen Reise, hatte sie fast in jeder Nacht einen beklemmenden Alptraum. Von den Kanzeln aus hetzten die Geistlichen der Stadt gegen sie, und die fanatisierten Gläubigen, die sich in den Kirchen drängten, strömten auf die Straßen von Nîmes hinaus, um sie zu suchen und zu lynchen. Zitternd versteckte sie sich in Hauseingängen, Hofeinfahrten, dunklen Winkeln; von ihren prekären Zufluchtsorten aus hörte und sah sie die entfesselte Menge auf der Suche nach der gottlosen Revolutionärin, um Christus zu rächen. Wenn die Verfolger sie dann entdeckten und sich mit haßverzerrten Gesichtern auf sie stürzten, erwachte sie schweißgebadet und angstgelähmt, mit einem Geruch nach Weihrauch in der Nase.
    Vom ersten Tag an ging in Nîmes alles schief. Das Hôtel du Gard war schmutzig und ungastlich und das Essen sehr schlecht. (Nachdem du deiner Ernährung niemals viel Bedeutung zugemessen hattest, ertapptest du dich jetzt dabei, daß du von guter Hausmannskost träumtest, von einer dicken Suppe, frischen Eiern und frisch geschlagener Butter.) Die Koliken, der Durchfall und die Schmerzen in der Gebärmutter, verbunden mit der unerträglichen Hitze, machten jeden Tag zur Qual, verschlimmert noch durch das Gefühl, daß dieses Opfer nutzlos sein würde, denn in dieser gigantischen Sakristei würdest du nicht einen einzigen intelligenten Arbeiter finden, der als Grundpfeiler für die Arbeiterunion dienen könnte.
    Tatsächlich fand sie einen, aber er war nicht aus Nîmes, sondern – natürlich! – aus Lyon. Der einzige unter den vierzigtausend Arbeitern dieser Hochburg der Seiden-, Woll- und Baumwollschalfabrikation, dem die verdummenden Predigten der Pfarrer, die sämtliche Arbeiter von Nîmes schluckten, ohne sich daran den Magen zu verderben, nicht völlig den Verstand vernebelt hatten. So schien es ihr zumindest bei den vier Versammlungen, die sie mit der zögerlichen Hilfe der beiden Ärzte Doktor Pleindoux und Doktor de Castelnaud – sie waren ihr als Philanthropen, moderne Geister und Fourieristen empfohlen worden – zustande brachte. Du glaubtest, in Sachen Dummheit alles gesehen und gehört zu haben, Andalusierin, aber Nîmes lehrte dich, daß die Grenze sich endlos verschieben ließ. An dem Tag, an dem sie bei einem Treffen aus dem Mund eines Mechanikers hörte: »Die Reichen sind notwendig, denn dank ihrer gibt es uns Arme in der Welt, und wir kommen in den Himmel, aber sie nicht«, bekam sie zuerst einen Lach- und dann einen Schwächeanfall. Daß die Kanzeln die Arbeiter davon überzeugt hatten, es sei gut, ausgebeutet zu werden, weil sie damit dereinst das Paradies gewinnen würden, demoralisierte sie derart, daß sie lange stumm blieb und nicht einmal Kraft für Empörung fand.
    Nur während jener tragikomischen Farce, der Schlacht von Cangallo, gegen Ende ihres Aufenthalts in Arequipa vor zehn Jahren, hatte sie soviel Dummheit und Wirrheit auf einmal gesehen wie hier in Nîmes. Mit einem Unterschied, Florita. Vor zehn Jahren, als die Anhänger Gamarras und Orbegosos vor den Toren Arequipas diesen blutigen Totentanz aufführten, studiertest du, die privilegierte Beobachterin, das Ganze mit Anteilnahme, mit Traurigkeit, Ironie und Mitleid und versuchtest zu verstehen, warum diese Indios, Zambos und Mestizen, die man in einen Bürgerkrieg ohne Prinzipien, Ideen oder Moral getrieben hatte, der nur dem nackten Ehrgeiz der Caudillos diente, sich dafür hergaben, als Kanonenfutter zu dienen, alsWerkzeuge im Kampf politischer Klüngel, die nichts mit ihrem Schicksal zu tun hatten. Hier dagegen, angesichts der Mauer aus religiösen Vorurteilen und Einfalt, die der Predigt der friedlichen Revolution alle Türen verschloß, reagiertest

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