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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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sich ihnen anzuschließen, blieb Florita auf der Dachterrasse des Hauses, bei den Männern. Sie würden ins benachbarte Kloster Santo Domingo gehen, wenn die Schlacht begänne. Um sieben Uhr abends krachten die ersten Salven der Musketen. Die Schießerei ging noch einige Stunden weiter, sporadisch, in der Ferne, ohne sich der Stadt zu nähern. Gegen neun Uhr erschien eine einsame Ordonnanz in der Calle Santo Domingo. General Nieto hatte den Soldaten zu seiner Frau gesandt, um sie zu bitten, sie solle in das nächste Kloster eilen; die Dinge stünden nicht gut. Don Pío ließ ihm zu essen und zu trinken geben, während der Soldat ihnen erzählte, was geschehen war; er sprach keuchend vor Erschöpfung und verschluckte sich immer wieder. Das in Kampfformation angetretene Bataillon San Románs habe als erstes angegriffen. Ihm hätten sich die sogenannten Dragoner General Nietos entgegengestellt, denen es gelungen sei, den Vormarsch aufzuhalten. Der Kampf sei ausgewogen verlaufen, bis die Artillerie unter Oberst Morán in der beginnenden Dämmerung das Ziel verfehlt und ihre Salven statt auf die Gamarra-Anhänger auf die eigenen Dragoner abgefeuert und unter ihnen Verheerungen angerichtet habe. Der Ausgang sei noch ungewiß, aber ein Sieg San Románs scheine nicht mehr unmöglich. Im Hinblick auf eine Invasion der Stadt durch diefeindlichen Truppen sei es nötig, daß »die Herrschaften sich versteckten«. Erinnertest du dich an die allgemeine Flucht, die diese Nachricht auslöste, Florita? Minuten später zogen Onkel und Vettern, gefolgt von Sklaven, die Teppiche und Bündel mit Nahrungsmitteln und Kleidern geschultert hatten, viele von ihnen mit Nachttöpfen aus Silber, Steingut oder Porzellan in den Händen, zum Kloster und zur Kirche Santo Domingo, nachdem sie die Türen mit Brettern verrammelt hatten. Die Nachricht hatte sich offenbar in Windeseile verbreitet, denn auf ihrem Weg zum Unterschlupf erkannte Flora weitere Familien der Stadt, die voll Angst und Schrecken den geweihten Stätten zueilten. In den Armen trugen sie sämtliche Reichtümer und Luxusgüter, die Platz fanden, um sie vor der Habgier des Siegers in Sicherheit zu bringen.
    In der Kirche und im Kloster Santo Domingo herrschte unbeschreibliches Chaos. Die Familien Arequipas, die sich dicht an dicht in den Galerien, Vorhallen, Kirchenschiffen, Kreuzgängen und Zellen drängten, mit Kindern und Sklaven, die auf dem Boden lagerten, konnten sich kaum bewegen. Es stank ekelerregend nach Urin und Exkrementen, und das Geschrei war ohrenbetäubend. Szenen von Panik wechselten sich ab mit Gebeten und Psalmen, die einige Gruppen anstimmten, während die Mönche von einem Ort zum anderen eilten und vergeblich versuchten, Ordnung zu schaffen. Don Pío und seine Familie hatten aufgrund ihres Ranges und Vermögens das Privileg, den Amtsraum des Priors zu belegen; dort konnte sich die weitläufige Verwandtschaft trotz der Enge des Raums zumindest abwechselnd die Füße vertreten. Die Schießerei hörte in der Nacht auf, begann erneut in der Morgendämmerung und verstummte bald darauf ganz. Als Don Pío beschloß, sich ein Bild vom Geschehen zu machen, folgte Flora ihm. Die Straße lag verlassen da. Das Haus der Familie Tristán war nicht okkupiert worden. Von der Dachterrasse aus erblickte Flora durch ihr Fernrohr an diesem Morgen mit klarem Himmel und frischer Brise, die denaufgewirbelten Staub vertrieben hatte, militärische Gestalten, die sich umarmten. Was ging da vor? Sie erfuhren es kurze Zeit später, als Oberst Althaus auf der Calle Domingo herangaloppierte, von Kopf bis Fuß rußgeschwärzt, mit Kratzern an den Händen und das blonde Haar weiß von Staub verkrustet.
    »General Nieto ist noch dümmer als seine Offiziere und Soldaten«, brüllte er, während er sich mit den Händen die Uniform abklopfte. »Er hat den Waffenstillstand angenommen, um den San Román gebeten hat, als wir ihm den Garaus hätten machen können.«
    Das Artilleriefeuer von Oberst Morán hatte nicht nur Verluste unter den eigenen Dragonern angerichtet – zwischen dreißig und vierzig Tote, schätzte Althaus –, sondern auch das Lager der Marketenderinnen getroffen, weil man sie mit Gamarra-Anhängern verwechselt hatte; die Kanonen hatten wer weiß wie viele dieser für die Unterstützung und Versorgung der Truppe unentbehrlichen Frauen getötet oder verwundet. Trotzdem gelang es den Soldaten Nietos, angefeuert durch das Vorbild des Dekans Valdivia und von Althaus selbst, das Heer San

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