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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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wichtiger war als alles andere im Leben, hatte dich in eine Anspannung versetzt, die sich – du warst dir sicher – in Selbstmord oder in einem Verbrechen entladen konnte. Deshalb warst du froh, als man dich entließ, obwohl du wußtest, daß der Beginn eines neuen Lebens von dir und vor allem von Mette viele Opfer fordern würde. Und so war es. Du wurdest auf die Probe gestellt, Koke. Proben eines mißtrauischen, grausamen kleinen Gottes, um herauszufinden, ob du zum Künstler berufen warst, und schwieriger noch, ob du es verdientest, Talent zu haben. Zwanzig Jahre später stellte dich diese schikanöse Gottheit noch immer auf die Probe, obwohl du sie alle bestanden hattest. Und jetzt auf die niederträchtigste: die Verschlechterung deiner Sehkraft. Wie konntest du als Maler die Prüfung der Halbblindheit bestehen? Warum hatte man es so auf dich abgesehen?
    Kurz nach Mettes letzter Niederkunft, im Dezember 1883 – den Jüngsten, Paul-Rollon, nannten sie immer Pola –, verließ die Familie Gauguin Paris und ließ sich in Rouen nieder. Du glaubtest, daß das Leben dort billiger wäre und daß du gutes Geld durch den Verkauf deiner Bilder und mit Porträts der wohlhabenden Einwohner von Rouen verdienen könntest. Die ewiggleichen Hirngespinste, Koke. Du verkauftest nicht ein Bild, und man gab kein einziges Porträt bei dir in Auftrag. Und in den acht Monaten in der winzigen Wohnung im mittelalterlichen Stadtkern hörtest du Mette täglich ihr Schicksal verfluchen, weinen und dich beschimpfen, weil du deine künstlerische Berufung, die euer Ruin war, vor ihr verheimlicht hattest. Doch diese häuslichen Streitereien ließen dich völlig kalt, Koke.
    »Ich war frei und glücklich, Ben«, sagte Paul lachend. »Ich malte normannische Landschaften, Schiffe und Fischer im Hafen. Ein gewaltiger Mist natürlich. Aber ich hatte die Gewißheit, daß ich bald ein guter Maler sein würde. Es war zum Greifen nah. Was für eine Begeisterung floß in meinen Adern, Ben!«
    »Ich an Mettes Stelle hätte dich vergiftet«, sagte der ehemalige Walfänger. »Aber, na ja, wenn du ein guter Ehemann gewesen wärst, wärst du nie auf die Marquesas gelangt. Weißt du was? Wenn jemand das Leben von uns hier Gestrandeten beschreiben würde, käme eine großartige Geschichte heraus. Denk nur, Ky Dong und du oder auch ich.«
    »Deine Geschichte ist die originellste, Ben«, sagte Paul. »Im Rausch sein Schiff zu verpassen. Stimmt das? War das so?«
    Der Nordamerikaner nickte und schnitt eine Grimasse, die sein sommersprossiges, rötliches Gesicht in Falten legte.
    »Die Wahrheit ist, daß meine Gefährten mich betrunken machten, damit sie ohne mich in See stechen konnten«, sagte er ohne Bitterkeit, als spräche er von einer anderen Person. »Auf dem Walfangschiff galt ich als ziemlich kaputter Typ, glaube ich. So wie du hier. Wir gleichen uns, Koke. Deshalb schätze ich dich wohl so. A propos, wie steht es um deinen Streit mit den Behörden?«
    »Soviel ich weiß, stagnieren die Verfahren.« Paul spuckte zu den Palmen der Umgebung aus. »Vielleicht sind ihnen ja durch den Zyklon die Akten abhanden gekommen oder haben sich aufgelöst. Sie können mir nichts mehr anhaben. Die Natur hat die Kunst gegen Geistliche und Gendarmen verteidigt! Der Zyklon hat mich freigesprochen, Ben!«
    Im Juli 1884 bestieg Mette im Hafen von Rouen ein Schiff, das sie mit drei der Kinder nach Dänemark brachte; Clovis und Jean überließ sie der Obhut von Paul in der normannischen Hauptstadt. In Kopenhagen ging es derWikingerin besser. Ihre Familie verschaffte ihr eine Arbeit als Französischlehrerin. Und so faßtest du den Entschluß – die Träume, Koke, immer die Träume –, dorthin zu ziehen, um Dänemark für den Impressionismus zu erobern.
    »Was ist Impressionismus?« wollte Ben wissen.
    Sie tranken Brandy, und der Ladenbesitzer war schon beschwipst. Paul dagegen war völlig gelassen, obwohl er mehr als Ben getrunken hatte. In seinem Rücken, vom Hügel der katholischen Mission her, trug der Wind die Kirchenlieder des Chors der Nonnenschule Saint-Joseph de Cluny zu ihnen. Sie probten immer um diese Zeit. Es waren Lieder, die nicht mehr religiös wirkten, weil sie von der Fröhlichkeit und Sinnlichkeit des Lebens auf den Marquesainseln durchdrungen waren.
    »Eine künstlerische Bewegung, an die sich, so denke ich, in Paris niemand mehr erinnert«, sagte Koke schulterzuckend. »Und jetzt, Ben, das letzte Glas. Wenn mich die Dunkelheit überrascht, finde ich mit

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