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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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gleichsamihre Reise nach England symbolisierte: das Klappern dieses metallenen Löffels, der mit einer Kette an den Wasserpumpen befestigt war, die an vielen Ecken Londons standen und an denen die Ärmsten ihren Durst stillten. Das Wasser, das sie tranken, war verschmutzt; bevor es zu den Pumpen kam, war es durch die Abwasserkanäle der Stadt geflossen. Die Musik der Armut, Florita. Sie klang seit vier Jahren in deinen Ohren. Manchmal sagtest du dir, daß dieses Geklapper dich bis in die andere Welt begleiten würde.

XX

Der Hexer von Hiva Oa
Atuona, Hiva Oa, März 1903
    »Am erstaunlichsten an deiner ganzen Lebensgeschichte ist«, sagte Ben Varney, während er Paul anschaute, als wollte er ihn bis auf den Grund ausloten, »daß deine Frau diesen Wahnsinn ausgehalten hat.«
    Paul hörte ihn nur halb. Er versuchte, die Verheerungen zu ermessen, die der Hurrikan in Atuona angerichtet hatte. Vorher hatte man von der Terrasse über Ben Varneys Kaufladen nur den kleinen Holzturm der protestantischen Mission sehen können. Doch die zerstörerischen Winde hatten etliche Bäume entwurzelt und andere entlaubt und verstümmelt, so daß man jetzt von diesem Geländer aus die ganze Fassade der Kirche und das schmucke Häuschen von Pastor Paul Vernier sehen konnte. Auch die beiden schönen Tamarindenbäume zu seinen Seiten, die kaum unter dem Unwetter gelitten hatten. Während Paul das alles flüchtig erfaßte, stellte er sich den Weg zum Strand vor; bestimmt war er unpassierbar durch all den Schlamm, die Steine und Zweige, die Blätter und Baumstämme, mit denen der Hurrikan ihn versperrt hatte. Es würde viel Zeit vergehen, bis man ihn säubern würde und du deine Spazierfahrten in der Abenddämmerung zur Bucht der Verräter wiederaufnehmen könntest, Koke. Hatten die friedlichen Marquesaner der Besatzung jenes Walfangschiffes wirklich einen so bösen Hinterhalt gelegt? Hatten sie sie wirklich getötet und verspeist?
    »Daß sie bei dir geblieben ist, trotz des wirtschaftlichen Ruins, den du mit deiner Laune, Maler zu werden, über deine Familie gebracht hast, meine ich.« Der Ladenbesitzer ließ nicht locker. Seitdem er die Geschichte gehört hatte, fragte er Paul ein Loch in den Bauch, um mehrEinzelheiten zu erfahren. »Wie konnte sie dich ertragen?«
    »Sie hat mich nicht lange ertragen, nur zwei Jahre«, antwortetest du ihm schließlich resigniert. »Was hätte sie sonst tun sollen? Der Wikingerin blieb keine andere Wahl. Und kaum hatte sie die, verließ sie mich. Besser gesagt, sie richtete es so ein, daß ich sie verließ.«
    Sie unterhielten sich auf Bens Terrasse über dem Laden. Drinnen hörte man Varneys Frau mit einigen Kindern in der Landessprache sprechen. Am Himmel von Hiva Oa begann das große Farbenspiel – blau, rot, rosa – der Abenddämmerung. Der Zyklon im letzten Dezember hatte nur wenige Opfer in Atuona gefordert, aber große Verheerungen angerichtet, Hütten einstürzen lassen, Gebäude abgedeckt, Bäume ausgerissen und die einzige Straße der Ortschaft in einen löchrigen Morast aus madiger Erde verwandelt.
    Doch das hölzerne Wohnhaus des Nordamerikaners hatte ebenso wie das Haus der Wonnen mit wenigen, bereits behobenen Schäden standgehalten. Am schlimmsten von den drei Freunden hatte es Tioka getroffen, Kokes Nachbarn, dem der reißende Make Make die ganze Hütte fortgeschwemmt hatte. Doch seine Familie war unversehrt. Jetzt arbeiteten der kräftige Alte mit dem weißen Bart und die Seinen ohne Pause und bauten sich eine neue Bleibe auf dem Stück Land, das Koke ihm von seinem eigenen geschenkt hatte.
    »Mag sein, daß ich nicht viel von Kunst verstehe«, räumte der Ladenbesitzer ein. »Na ja, in Wahrheit verstehe ich überhaupt nichts davon. Aber du mußt zugeben, daß das für einen normalen Verstand schwer zu begreifen ist. Ein sicheres, wohlhabendes Leben zu genießen und mit mehr als dreißig Jahren alles aufzugeben, um eine Laufbahn als Künstler anzufangen. Mit einer Frau und fünf Kindern! Ist das etwa kein Wahnsinn?«
    »Weißt du was, Ben? Wenn ich an der Börse geblieben wäre, hätte ich am Ende Mette und meine Kinder umgebracht,auch wenn man mir dann wie dem Banditen Prado mit der Guillotine den Kopf abgeschnitten hätte.«
    Ben Varney lachte. Aber du scherztest nicht, Koke. Als du im August 1883 deine Stelle verlorst, warst du an eine Grenze gelangt. Den Großteil des Tages etwas tun zu müssen, das du haßtest, weil es dich daran hinderte, zum Pinsel zu greifen, was dir längst

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