Das Paradies ist anderswo
Begründer des »Evadismus«, einer Lehre, die auf der Idee der Gleichheit der Geschlechter beruhte, ein Verfechter der Befreiung der Frau, den du einige Wochen lang mit großer Naivität ernst genommen hattest. Dein Respekt vor ihm schwand an dem Tag, an dem die düstere Gestalt mit den fanatischen Augen und den langen Händen dir erklärte, der Name seiner Bewegung, Evadismus, gehe auf das erste Menschenpaar, Adam und Eva, zurück und er selbst lasse sich von seinen Schülern zu Ehren der Familie »Mapah« nennen, denn das Wort verbinde die beiden ersten Silben von Mama und Papa. Er war entweder dumm oder völlig verrückt.
Die polizeiliche Verfolgung verhinderte, daß Floras Aufenthalt in Toulouse zwischen dem 8. und dem 19. September Früchte trug. Am Tag nach ihrer Ankunft hielt sie im Hôtel des Portes in der Rue de la Pomme eine Versammlung mit etwa zwanzig Arbeitern ab, als plötzlich Kommissar Boisseneau in den Raum platzte. Dickbäuchig, mit borstigem Schnurrbart und mürrischem Blick, ohne auch nur den Hut abzunehmen oder sie zu grüßen, warnte er sie:
»Sie sind nicht berechtigt, nach Toulouse zu kommen, um die Revolution zu predigen.«
»Ich komme nicht, um die Revolution zu machen, sondernum sie hinauszuzögern, Herr Kommissar. Lesen Sie mein Buch, bevor Sie über mich urteilen«, erwiderte ihm Flora. »Seit wann erschreckt eine alleinreisende Frau die Kommissare und Präfekten der mächtigsten Monarchie Europas?«
Der Beamte zog sich grußlos zurück, mit einem frostigen: »Sie sind gewarnt.«
Ihre Bemühungen, mit dem Präfekten von Toulouse zu sprechen, waren vergeblich. Das Verbot entmutigte ihre Kontaktpersonen in der Stadt. Sie brachte gerade nur ein geheimes Treffen in einer Herberge des Stadtviertels Saint-Michel mit acht Arbeitern der Lederverarbeitung zustande. Voll Furcht, die Polizei könnte sie entdecken, hörten sie ihr ängstlich und unter ständigen Blicken zur Haustür zu. Ihr Besuch bei L’Emancipation , einer Zeitung, die sich demokratisch und republikanisch nannte, war ein weiteres Fiasko; die Journalisten schauten sie an, als wollte sie ihnen Heilmittel gegen Alpträume und den bösen Blick verkaufen, und schenkten ihrer ausführlichen Darlegung der Ziele der Arbeiterunion nicht die geringste Beachtung. Einer fragte sie, ob sie Zigeunerin sei. Die Beleidigung erreichte den Gipfel, als ein besonders verwegener chevalier , ein Redakteur namens Riberol, dünn wie ein Besenstiel, ihr lüsterne Blicke zuzuwerfen und doppeldeutige Worte zuzuflüstern begann.
»Versuchen Sie etwa, mich zu verführen, Sie armer Tropf?« fuhr Madame-la-Colère ihn mit lauter Stimme an. »Haben Sie noch nie in den Spiegel geschaut, Sie Trottel?«
Sie stand auf und ging türenschlagend davon. Deine Wut verrauchte, als du – die beste Entschädigung, Florita – daran dachtest, wie das zerfurchte Gesicht Riberols, dem deine heftige Reaktion die Sprache verschlagen hatte, unter dem Gelächter seiner Kollegen vor Scham feuerrot geworden war.
In Agen, wo sie vier Tage lang blieb, liefen die Dinge nicht besser als in Toulouse, ebenfalls durch Schuld der Polizei. In der Stadt gab es viele mutualistische Arbeitervereine,die der freundliche Agricol Perdiguier aus Paris über ihr Kommen informiert hatte. Er trug seinen Spitznamen – der Tugendhafte aus Avignon – zu Recht: Obwohl er mit Floras Ideen nicht übereinstimmte, hatte er ihr in seiner Großzügigkeit wie kein anderer geholfen. Die Freunde Perdiguiers hatten Treffen mit verschiedenen Berufsgruppen für sie vorbereitet. Doch nur das erste fand statt. Dabei versammelten sich etwa fünfzehn Tischler und Drucker, von denen zwei besonders Interessierte sich entschlossen zeigten, ein Komitee zu gründen. Sie begleiteten sie auch, als Flora die lokale Berühmtheit, den Dichter-Friseur Jazmin, aufsuchte, auf den sie große Hoffnungen gesetzt hatte. Doch die Lobeshymnen der Bourgeosie hatten natürlich auch diesen einst volkstümlichen Dichter in einen eitlen Dummkopf verwandelt. Diesem Schicksal schien niemand zu entgehen. Er wollte sich nicht mehr an seine proletarischen Ursprünge erinnern und trat hochmütig auf. Rundlich, weich, kokett und gespreizt, langweilte er Flora, als er ihr erzählte, wie gut er in Paris von Größen wie Nodier, Chateaubriand und Sainte-Beuve aufgenommen worden sei und mit welcher Emphase er seine »gaskognischen Gedichte« vor Louis-Philippe höchstpersönlich vorgetragen habe. Seine Majestät, von seinen Worten gerührt,
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