Das Paradies ist woanders! (German Edition)
die Frage, lässt ihm den Schreck in die Glieder fahren, sondern vor allem auch die Stimme, von der sie vorgebracht wird. Er kennt diese Stimme gut, sehr gut sogar.
Langsam dreht er sich ein wenig um, erwartet, dass er deshalb zurechtgewiesen wird. Aber es passiert nichts dergleichen. So wendet er sich schließlich von der Direktorin weg und dem Mann, der hinter ihn steht, zu. Ein Soldat, groß, gutaussehend. Joshua muss erneut schlucken.
Carlos wiederholt die Frage, seine Stimme hat dabei einen scharfen Unterton. Sie klingt jetzt ähnlich wie damals, als er ihn davor gewarnt hat, abzuhauen.
„Wo warst du gestern, José?“
Wieder muss er schlucken. Was soll er darauf antworten? Hier, im Büro seiner Gefängnisdirektorin. Joshua beschließt, zunächst gar nichts zu sagen, will erst einmal abwarten, was man ihm überhaupt vorwirft.
Carlos scheint nichts anderes erwartet zu haben, er sieht nicht besonders überrascht aus. Aber, das kann Joshua feststellen, sein Gesicht wirkt irgendwie anders heute. Traurig, verzweifelt? Er kann es nicht so recht einordnen.
Der Soldat lässt noch einen Moment verstreichen, dann wendet er sich an die Direktorin, geht einige Schritte auf sie zu.
„Senora Esteban, sie haben doch sicher einen Raum hier in ihrer Anstalt, in dem wir uns einmal ungestört mit diesem Knaben unterhalten können, oder ist diese Annahme falsch?“
Er formuliert seine Frage sehr höflich, lächelt die Direktorin dabei charmant an. Es klingt fast so, als handle es sich hierbei um eine Verabredung zum Nachmittagskaffee ...
Joshua beobachtet die ganze Szene mit gemischten Gefühlen. Er weiß in diesem Moment nicht, was Carlos wirklich vorhat. Einerseits ist ihm bewusst, dass dieser Mann einer der Wenigen ist, der weiß, wer er wirklich ist. Andererseits aber auch, dass er hier eine Rolle zu spielen hat. Und in diesem Theaterstück, ist er, Joshua, der kleine Drogenkurier und Sträfling, Carlos hingegen, der Soldat einer Spezialeinheít der mexikanischen Armee. Was wird, in besagtem Raum, also passieren? Joshua schluckt schwer, wenn er an die nächsten Stunden denkt ...
Senora Esteban hingegen entspannt sich ein wenig, sie lächelt den höflichen, gutaussehenden Offizier jetzt ebenfalls an, bevor sie ihm antwortet.
„Aber natürlich doch, Capitan, sie können jederzeit über diesen Raum verfügen. Ich werde den Jungen dorthin bringen lassen, sie sind dort vollkommen ungestört. Nutzen sie ihn, solange es nötig ist, meine Leute werden ihnen alles zeigen, was sie wissen müssen.“
Carlos nickt ihr daraufhin zu, und die Direktorin betätigt umgehend ihre Sprechanlage, um den Wachleuten die nötigen Anweisungen zu geben. Nur Minuten darauf klopft es an der Tür.
Eine Stunde später
„Wo warst du gestern?“
Carlos wiederholt die Frage jetzt zum dritten Mal, seine Stimme kling zunehmend ungeduldiger. Es ist ihm klar, dass der Soldat eine Antwort erwartet. Aber noch ist Joshua sich nicht sicher, ob er ihm die Wahrheit sagen soll. Kann?
Ich weiß, seit den Erlebnissen von gestern, überhaupt nichts mehr, schießt es ihm durch den Kopf. Ich weiß nicht, wem ich noch trauen kann, wer von wem bestochen wird, gekauft, bedroht. Wie war es mir, und den anderen Männern, überhaupt möglich, das Gefängnis zu verlassen? Wie konnten wir anschließend ungehindert zurückkehren? Welche Rolle spielt das Wachpersonal, welche vielleicht sogar die Direktorin? Kann ich Carlos immer noch vertrauen? Wird man mich hier wirklich rausholen, wenn ich meinen Auftrag erfüllt habe?
Carlos bleibt jetzt direkt vor ihm stehen, nur wenige Zentimeter trennen ihre Gesichter voneinander. Der Blick des Soldaten durchbohrt ihn förmlich, seine Miene ist völlig undurchdringlich. Sicher, kommt es Joshua in den Sinn, wahrscheinlich hat er ähnliche Verhöre bereits unzählige Male durchgeführt ... , er weiß genau, wie man auch richtig harte Jungs beeindrucken kann ... Was denkt er wohl gerade? Was hat er jetzt mit mir vor?
Joshua blickt ihm ebenfalls in die Augen. Zumindest bemüht er sich darum, Carlos Blick standzuhalten. Wenn er auch am liebsten einige Schritte zurückgewichen wäre. Aber das ist ihm, in diesem Augenblick, nicht möglich. Man hat ihn gefesselt, die Hände sind über seinem Kopf festgebunden.
Er hängt sozusagen an der Decke, auch wenn er seine Füße gerade noch auf dem Boden abstellen kann. Irgendwann habe ich so etwas schon mal auf Bildern gesehen , erinnert er sich dunkel ..., in der Schule haben wir
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